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Menschlich—unmenschlich

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Das Burgtheater im besonderen, aber auch das Volkstheater haben sich der Aufgabe entschlagen, der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Hugo von Hofmannsthal durch Aufführungen zu gedenken. Doch das Theater in der Josefstadt brachte aus diesem Anlaß nach dem „Unbestechlichen“ auch jenes Stück, das seit der Erstaufführung 1924 als das „josefstädterischste“ bezeichnet wird: das Lustspiel „Der Schwierige“.

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Das Burgtheater im besonderen, aber auch das Volkstheater haben sich der Aufgabe entschlagen, der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Hugo von Hofmannsthal durch Aufführungen zu gedenken. Doch das Theater in der Josefstadt brachte aus diesem Anlaß nach dem „Unbestechlichen“ auch jenes Stück, das seit der Erstaufführung 1924 als das „josefstädterischste“ bezeichnet wird: das Lustspiel „Der Schwierige“.

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Das Wesen des Dramatischen ist Bewegung, schrieb Hofmannsthal, aber es ist gehemmte Bewegung. Der Reiz dieses Stücks besteht darin, daß da die Voraussetzung für Bewegung von Anfang an latent vorhanden ist, aber die Hemmung ist zu groß, sie wird nur mit Schwierigkeiten überwunden. Was ist aber die Hemmung? Das Behutsame, die geistige Vornehmheit, die Scheu „gewisse Dinge zu erleben und sich dabei nicht indiskret zu finden“. Dieses Lustspiel wird immer aktueller, der Brutalität unseres Zeitalters ersteht ein äußerster Gegenpol menschlicher Haltung.

Das Behutsame kommt unter der subtilen Regie von Ernst Haeusser-man sehr gut heraus. Peter Weck, einst großartig als Stani, gibt nun dem Grafen Bühl überzeugend die ruhige Noblesse, die Verhaltenheit, das Unentschlossene. Marianne Nentwich ist als Helene Altenwyl ein nettes junges Ding, das genügt aber nicht für diese Rolle. Dagegen hat Eva Kerbler als Antoinette Hechingen alle Facetten der unglücklich in Bühl Vernarrten, eine intensive Leistung. Prächtig Susanne Almassy als Bühls Schwester, durchaus akzeptabel Christian Futterknecht als Stani, witzig Vilma Degischer als sich blamierende, literaturbeflissene Edi-ne, glaubhaft verstört Harald Harth als Hechingen, anmaßend Sieghardt Rupp als präpotenter Baron Neu hoff. Otto Niedermoser bewährt sich in den Bühnenbildern als Meister barocker Innenräume.

Kann man von der Sprache her den Menschen ändern? Darum geht es in der Komödie „Pygmalion“ von Bernhard Shaw, die derzeit im Volkstheater gegeben wird. Man weiß, dieser Phonetik-Professor Higgins versucht aus einer Rinnsteingöre, dem Blumenmädchen Eliza, durch Verbesserung ihrer Sprache eine gesellschaftsfähige Dame zu machen. Zur Bestätigung seiner Fähigkeiten, nichts weiter. Es gelingt. Entlarvt nun dies die Mediokrität der Gesellschaft? Erweist sich der Unterschied zwischen dem Mädchen und der Gesellschaft nur als ein äußerlicher? Keineswegs. Higgins ist nämlich, ohne es zu wissen, Pygmalion und Aphrodite zugleich, er hat aus dem Mädchen einen neuen Menschen gemacht, nicht nur eine Gesellschaftspuppe, hat in Eliza eine neue Seele erweckt. Und gewahrt es nicht. Sprache kündet menschliche Wesensart, dies besagt das Stück.

Dieses gründgescheite, geistvoll witzige Stück, das vor 61 Jahren im Burgtheater uraufgeführt wurde, kommt unter der Regie von Hans Jaray zu einer blendenden Wiedergabe, die das sprühend Intellektuelle aus dem Schauspielerischen heraus entwickelt, Jaray selbst gelingt es als Higgins, die Grobheiten geradezu mit Charme darzubieten. Kitty Speiser spielt das Ordinäre der Eliza voll aus und ist schließlich glaubhaft eine junge Dame von Welt. In der Gestalt des Oberst Pickering vereint Hanns Krassnitzer Verbindlichkeit mit der Haltung des Militärs. Hüde Wagener vom Burgtheater gibt Higgins' Mutter, das gütig Kluge dieser alten Dame. Herbert Propst ist ein jovial urwüchsiger Doolittle. — Auch hier schuf Otto Niedermoser treffliche Bühnenbilder.

Die Ungeheuerlichkeiten, die sich täglich begeben, sind anscheinend zu gewaltig, um auf der Bühne durch Tragödien erfaßt werden zu können. Ionesco erklärte, es seien auf dem Theater radikale Vergröberungen, Übertreibungen nötig. Übertreibungen kennzeichnen die drei Einakter von Guy Foissy, die unter dem gemeinsamen Titel „Blutnummern“ in der „Werkstatt“, Theater am Kärntnertor, zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangten.

Ein Photoreporter führt im ersten Einakter, „Blutnummer“, einen Autounfall herbei, um ihn photogra-phieren zu können. Steigerung: In „Heiratsanzeige“ lernen sich zwei kennen, sie hat Katzenaugen gesammelt, er Photos der von ihm gemordeten und verstümmelten Kinder. Steigerung: Von erhöhter Stelle schießt einer in „Wände stürzen ein“ in die Menschenmenge einer Stadt, der zweite hat Dynamit an einem Haus so deponiert, daß angeblich gleich alle anderen Häuser umgelegt werden. Niemanden irritiert es. Das sind makabre Dialoge, ohne Tiefgang, salopp und in aller Ubersteigerung wie selbstverständlich vorgebracht. Naturalistische Darstellung? Ionesco spricht generell von Mitteln des Burlesken, die heute anzuwenden seien. Kraß Burleskes setzt Regisseur Hans Gratzer in der Umsetzung ein. Er läßt diese Einakter in einfallsreichen Clownskostümen von Peter Giljum als Clownerien spielen, was Walter Benn, Ingrid Burkhard, Hermann Killmeyer vorzüglich gelingt. Die Absurdität des Grausigen wird dadurch scharf herausgetrieben. Die Fratze unserer Zeit ersteht.

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