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Meuchel-MytJSen

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Das Jubiläum der Tragödie von Mayerling geht uns bayerische Nachbarn überhaupt nichts an.

A ber vne in jeder schweren Stunde stehen wir auch bei diesem traurigen Jubiläum brüderlich an Eurer Seite und schauen Euch zu, vne Ihr £tic/i bei der Bewältigung der Vergangenheit abquält.

Entscheidend ist aber-das unrd in Österreich leider oft vergessen — nicht so sehr, was damals wirklich war, sondern was unr für die Gegenwart aus der Geschichte lernen können.

Wir Bayern sind ja in solchen Fragen keine ahnungslosen Theoretiker, sondern haben da unsere eigenen Erfahrungen. Wir haben uns auch in der Geschichte schon öfters von Ahnungen mehr leiten lassen als von Tatsachen, weil die Ahnungen halt meist schöner, geheimnisvoller und gesprächsträchtiger sind.

Erst vor ein paar Jahren haben unr ja den 100. Todestag unseres schönen Märchenkönigs Ludtvig II. begangen. Aux:h sein Tod kam zu früh - andere sagen: zu spät —, auf jeden Fall war er unpassend, zudem geheimnisumwoben und rätselhaft. Von den bayerischen Königen, die ohne Legenden gestorben sind, redet heute fast niemand mehr, aber Ludung II. ist im Volk noch für manchen „Club II“ und ähnlichen Tratsch gut.

Da können die Historiker reden und schreiben, was sie wollen: das Volk in seinen tiefen Ahnungen weiß eben, daß ihn die Preußen ermordet haben. Erstens ist es denen immer zuzutrauen. Zweitens: Wer wäre es denn sonst gewesen? Drittens: Wieso sollte es dann in Mayerling anders gewesen sein?

Ob Bayerns König Ludwig IL oder Österreichs Kronprinz Rudolf — unr lernen daraus, daß das Volk Mythen, Dolchstoß-Legenden und schaurige Meuchel-Theorien braucht, weil es sie liebt. Dagegen unrd die Geschichte selbst durch historische Aufklärungsarbeit immer langweiliger.

Unsere heutigen Politiker und Staatsorgane wollen endlich auch so unsterblich werden wie die Mythen von gemeuchelten alten Herrschern. Nur aus dieser geschichtlichen Verantwortung heraus versuchen sie, ähnlich wie damals, immer möglichst mel im Nebulosen zu halten, den Schleier des rätselhaften Hintergrundes drüberzuzie-hen und die versprochene „rückhaltlose Aufklärung“ zum Jahrhundertwerk hinzuzögern.

So gesehen toissen wir — dank journalistischer Geheimnis-Zerstörer - heute schon viel zu viel, sei es im Fall Barschel oder im Fall Lucona etc. Nur unsere Regierungen sorgen sich eben noch um die Märchen und Mythen von morgen.

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