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Mord, Brand und Geschwätz

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Ich habe die Selbstbeherrschung jenes Mitarbeiters der repräsentativsten österreichischen Tageszeitung bewundert, der sich von einem uferlos dahinschwätzenden bundesdeutschen Terroristenanwalt beleidigen ließ und schwieg, statt massiv zu replizieren. So geschehen im „Club 2“ des Fernsehens, während einer Debatte unter dem Motto „Im Schatten des Terrors“, einer Debatte, zu der man etliche Erzeuger, Beihelfer und Hehler der Mordbrenner eingeladen hatte. Der Österreicher hatte festgestellt, daß Mord immerhin Mord sei und mußte es sich bieten lassen, daß daraufhin ein Wortschwall im schönsten Soziologenchinesisch über ihn hereinbrach, mit dem bewiesen werden sollte, daß er, der österreichische Redakteur, da nun mal totaal auf dem Holzweech sei.

Ich bin der Meinung, daß vornehmes Schweigen in diesem Falle die falsche Taktik war. Solange man sich von diesen Leuten auf der linksliberalen Position festnageln läßt, solange man ihnen nicht ins Gesicht sagt, man empfände es als Ehre, von ihnen „Ausbeuter“, „Faschist“ und „Klassenfeind“ ge nannt zu werden, wie man es einst als Ehre empfunden habe, von den Nazis „Volksverräter“ und „Judenknecht“ tituliert zu werden - solange läßt man ihrer Sophistik freien Lauf Solange vermengen siö unwidersprochen die Kategorien Krieg und Terror, solange antworten sie auf das Wort „Mord“ mit „Vietnam“ und auf das Wort „Gulag“ mit „Profit“, solange zwingen sie die Gesprächsrunde ihr gruppeneigenes Volapük. auf und sprechen von „Isolierfolter“, ohne daß einer ihnen über den Mund führe. Aber wahrscheinlich muß man selber Häftling (und sei es nur „politischer“ im Dritten Reich) gewesen sein, um sich zu erinnern, welche Erlösung es für einen Kulturmenschen war, wenn er aus dem Gemeinschaftspferch in die Einzelhaft geriet und endlich wieder denken durfte. Zugegeben: für Basisgruppen, Terrorkollektive und Geschwätzkommunen mag es fürs erste einer Folter gleichkommen, wenn sie sich, alleingelassen, ihren eigenen Gedanken und vielleicht sogar den letzten Rudimenten ihres Gewissens gegenübersehen. Zugegeben: für einen

Pyromanen mag es fürs erste einer Folter gleichkommen, wenn man ihn daran hindert, fernerhin Häuser anzuzünden.

Nein, ich bin der Meinung, daß vornehme Zurückhaltung fehl am Platze ist, wo es um Leben und Sicherheit der Staatsbürger geht. Als während besagter Terroristendebatte der Herausgeber eines österreichischen Wochenmagazins mit bewundernswerter Geduld auf die Haltung der Männer vom 20. Juli 1944 hinwies, die monatelang ihr Gewissen befragten, ob Tyrannenmord sittlich vertretbar und vor Gott zu verantworten sei - als besagter Herausgeber mit wenigen Worten sagte, was zu sagen war, stand die Gesponsin eines Mordbrenners auf und verließ die Runde. Warum versuchte Knöbl, als Moderator, diese Unverschämtheit zu beschönigen und darzutun, die „Dame“ müsse zum Flugzeug?

Und warum hat niemand den Erzeugern, Beihelfern und Hehlern der Mordbrenner gesagt, daß bundesdeutsche, französische und italienische Rhetorik die ihr innewohnende umwerfende Komik in dem Augenblick enthüllt, in dem man sie ins wortkarge österreichische übersetzt -? Warum hat keiner ihnen gesagt, daß es des Phrasenschwalls gar nicht mehr bedurft hätte, weil Goethe in einer einzigen Verszeile schon längst dargetan hat, warum der Geist, der stets verneint, verneint: „mit Recht“, seiner mephistophelischen Meinung nach, „denn alles, was besteht, ist wert, daß es zugrundegeht“. Hier nämlich endet die Diskussion unter Menschen und die eigentlichen Dimensionen werden sichtbar.

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