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Moskau muß nun Farbe bekennen

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Am Wochenende gab es wieder Friedensdemonstrationen, die erste davon auch hinter dem Eisernen Vorhang, in Rumänien. Der von US-Präsident Reagan spät, aber doch gezündete Funke einer TNF-Abrüstung (vgl. Stichwort, S. 2) in Europa auf den Nullpunkt hat in West und Ost gezündet

Die NATO war immer auf Verhandlungen verpflichtet. Aber die neue Regierung der USA wollte diese von einer Position glaubhafter Stärke ausführen und hat deshalb seit Monaten von nichts anderem als von neuen Waffen geredet. Sie vergaß dabei, daß eine Generation herangewachsen ist, die von der Entwicklung des Kalten Krieges, von Berliner Blockade, Koreakrieg und Panzerkommunismus in Ostberlin, Ungarn und CSSR wenig oder nichts mehr wußte. Sie hörte Reagan von Krieg und Breschnew von Frieden reden und ging auf die Straßen. Mit gutem Grund — und nicht ohne Erfolg!

Die Friedensbewegung hat vernünftigen Staatsmännern in Westeuropa Argumentationshilfe gegenüber allzu saloppem Säbelrasseln in Washington geliefert. Mit seiner jüngsten Rede hat Reagan signalisiert, daß er die Lektion endlich gelernt hat. Nun muß Breschnew die seine lernen. Bonn war ein guter Auftakt.

Was viele Europäer in jüngster Zeit irritierte, war das Gerede hoher US-Politiker von einend begrenzten Atomkrieg, etwa in Westeuropa. „Unmöglich“ lautet das auch diesseits des Eisernen Vorhanges kritiklos übernommene Gegenargument aus Moskau. „Da wird im Nu ein weltweiter Atomkrieg draus.“

In Wirklichkeit hat die UdSSR seit fast 20 Jahren ihre atomare Strategie genau darauf aufgebaut: daß man eine atomare „Warnung“ (etwa einen begrenzten Angriff auf militärische Ziele in Westeuropa, der einen US-Präsidenten vor dem massiven Vergeltungsschlag zurückschrecken ließe) durchaus mitkalkulieren kann, ohne den nuklearen Holocaust zu riskieren.

Warum sonst hätte die UdSSR trotz Besitzes von 1400 Interkontinentalraketen seit 1976 pausenlos Mittelstreckenraketen gegen Westeuropa in Stellung gebracht? Erst Ende 1983 will die NATO im Fall ergebnislos bleibender Verhandlungen nachziehen: eine siebenjährige Vorleistung, die bisher nicht honoriert worden ist!

Jetzt muß Moskau Farbe bekennen. Die am 30. November in Genf beginnenden Verhandlungen werden lange und mühsam sein. Und doch stellen sie die einzige reale Friedenshoffnung dar.

Dies sollten auch jene zur Kenntnis nehmen, die von der nebulösen Utopie einseitiger Selbstentwaffnung träumen und auf die das Wort Elias Canettis zutrifft, wonach „zu den unheimlichsten Phänomenen menschlicher Geistesgeschichte das Ausweichen vor dem Konkreten gehört“.

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