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Napoleons I. erste Frau

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Den österreichischen Leser interessiert gewiß die Lebensigeschichte jener Frau, die vor Marie Louise an der Seite Napoleons I. thronte. Das vorliegende Buch hat er einem Bestsellerautor zu verdanken, dem die Fachhistoriker allzu hurtiges Schaffen, allzu leichtfertigen Stal vorwerfen; doch der Mensch lebt nicht von Momimsen allein, und so dürfte diese Biographie auch in der deutschen Ausgabe zahlreiche Leser finden. Dies um so mehr, als wir ihr keinen sachlichen Vorwurf zu machen wüßten. Castelot will weder die entsetzliche Verderbtheit des Regimes beschönigen, das nach der Revolution gekommen war und an dem Josephine Beauharnais teilhatte, noch wühlt er dabei im Schmutz, noch vergißt er die liebenswerten Züge seiner Heldin. Nicht an ihn richtet sich unsere Kritik; wohl aber an den Verleger.

Erstens, was ist ein biographisches Werk ohne einige Abbildungen? Zweitens, warum ist wieder eine Übersetzerin bemüht worden, welche die Realien ihres Themas nicht beherrscht? Beispiele! S. 251 zeigt die Satzordnung des Gebets, daß die Übersetzerin sich nie eine Oration des Meßbuchs angehört hat. Überall wird „ėcuyer” mit Rittmeister übersetzt, und zum Haushalt der Kaiserin gehören „zwei Oberkellner”. Der Herzog und der Erbprinz des altdeutschen Hauses Arenberg werden S. 237 u. 275 Duc und Prince d’Arenberg genannt. S. 344 ist vom österreichischen Gesandten die Rede — damals war Österreich — dank Aspern — noch Großmacht und hatte einen Botschafter. Der Leser meint, es müsse der Gemeinderat der Pariser Vorstadt gemeint sein, wenn S. 355 der „Rat von Sceau” genannt wird; nicht doch, es ist der Rat beim Majestätssiegel. S. 343 bringt ein mieser Zeitgenosse Leute zum „Reden”; wir wetten, im Original tut er sie „faire chanter”, was Erpressen heißt.

Allenfalls gereicht es einem Übersetzer weiblichen Geschlechts zur Ehre, daß sie Napoleons unflätige erotische Redensarten nicht im Urtext kennt und daher S. 76 Josephi- nens einschlägige Körperteile verwechselt hat. Unverzeihlich ist es dagegen, wenn S. 371 und anderswo etwas „groß geschrieben” wird, nicht weil es ein Substantiv ist, sondern weil deutsche Tintenkulis heute diese sinnlose Redensart für „wichtignehmen” zu gebrauchen belieben. Castelot ist, mein Gott, kein Thiers oder Pustel; aber wenn seine Sprache in solches Zeitungsdeutsch gebracht wird, geschieht ihm klagbares Unrecht. Und da die Sprache der Übersetzung sonst meistens gut ist — das beeilen wir uns zu sagen —, ist es um das interessante Buch schade.

WUNDERBARE JOSEPHINE. Eine Biographie. Von Andrė Castelot. Übersetzt von Brigitte Kahr. Originaltitel: „Josėphine.” Paul-List- Verlag, München, 1970. 405 Seiten. DM 24.80.

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