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Nicht nur Erinnerung

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Zunächst meint man, was in diesem kleinen Bändchen mitgeteilt wird, seien nur Farben zu einer Kinderlandschaft, Erinnerungen, zart hingetupft, Blätter, die im Wind der Zeit von den Bäumen tropfen; dieser Garten im elterlichen Haus, die Eiben, unter denen einzuschlafen gefährlich äst, weil man nimmer aufsteht, Vater, Mutter, der Bruder und die alte, immer schon alte Anna. Doch dann verdunkelt sich der Himmel der Kindheit, ein greller Blitz erhellt ihn, die zerstörerische Leidenschaft des Vaters tritt zutage, die sich auf den Sohn vererbt, welcher endlich dem Drogenmißbrauch verfällt. Schulerinnerungen mischen sich hinein, dann kommt wieder ein Vorgriff auf spätere Zeiten, wo die alte Anna erhängt vor dem verwüsteten Hausrat gefunden wird, die Erinnerung reicht traumhaft zurück in die Begegnung mit einer allzu schönen Frau, der sich das Schulmädchen unwissend und wohlig in die Arme schmiegt, und Krieg, Krieg bricht aus, schwarze Nächte, nur angedeutet und doch deutlich zu sehen.

Man denkt manchmal an die Jugendbücher Hermann Hesses, an die subtilen Verästelungen bei Carossa in der Schilderung der Empfindungen eines Kindes, es ist alles schlicht und richtig ausgesagt, kein falscher Ton, keine Affektiertheit darin. Ängstlich fragt man sich, ob Dora Dunkl wohl über diese ins Dichterische gehobene Autobiographie hinausfinden wird in die allgemeinen Werte, ob sie sich wohl loslösen wird wie die erwähnten Großen, denen ihre Kindheit zu formen nur ein Teil ihres Dranges zur Aussage gewesen ist. Man bekommt Mut, wenn man die Nachworte liest, die Gertrud Fussenegger dem schmalen Band gewidmet hat. Wie sie die Verfasserin schildert als „eine Erscheinung, die auffällt: groß, dunkelhaarig, mit kurzgehaltener glatter Frisur, die den Kopf beinahe wie eine Kappe umschließt. Auch ihre Augen sind dunkel. Sie ist stark geschminkt, aber so, als wäre Schminke nicht erfunden, um Mängel zu verdecken und Minderungen zu überspielen, sondern um ihrer selbst willen: als Möglichkeit zur Farbe, zum Muster, zum eigenen Vortrag ... Das Dekollete ist sehr tief. Seltsamerweise wirkt es nicht nackt, vielleicht, weil es der Frau ansteht, sich so zu zeigen, als könnte sie sich gar nicht anders zeigen als in auffallender Kleidung, in auffallender Haltung, sich in auffallender Weise bewegend. Aber was bei andern ärgerlich wirken könnte, das ist hier glaubwürdig als der Duktus einer ganz eigentümlichen Figur, einer Person von eigenem Umriß, nicht erlernbare Ausprägung ungebrochener Einmaligkeit... Hier ist man gerne zu Gast, weil die Frau des Hauses, so auffallend als Erscheinung, so voll entschiedener Energie, es zuwege bringt, gerade das auszustrahlen, was ... eigenwillig konturierten Frauen so selten gelingt: sie überzeugt von ihrer Selbstlosigkeit.“

Dora Dunkl kommt aus Würzburg und ist mit einem in Steyr lebenden Architekten verheiratet, sie lebt in einem großen romantischen Haus, dem Dunkl-Hof in der Altstadt, schreibt Gedichte und veranstaltet erlesene künstlerische Feste. Ihr erstes Büchlein, das hier vorliegt, ist in der Reihe „Profile und Facetten“ des Berglandverlages erschienen, welche der Sammlung „Neue Dichtung aus Österreich“ gefolgt ist, die von dem inzwischen verstorbenen Literaturkenner und Förderer echter Poesie, Rudolf Felmayr, begonnen worden war. Er hatte einen unbestechlichen Blick und war ein strenger Richter, im Herzensgrund ein unerhört gütiger Mensch: er hätte an dieser Fortsetzung seiner Reihe sicher seine Freude gehabt.

DORA DUNKL: FORTDAUER UND ERINNERUNG. In der Reihe „Profile und Facetten“, Berglandverlag Wien, 64 Seiten.

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