An diesem Sonntag war ich einer von gut einer Million Wahlkartenwählern. Früh hatte ich eine Herbstreise in die Schweiz gebucht – und so den vergangenen Sonntag aus der „nahen Fremde“ erlebt. Sehr spannend! Die Eidgenossen sind unsere Nachbarn, ihre Medien kennen uns lange – und ihr Blick auf unsere Politik war auch zuletzt von schmerzhafter Klarheit.
Noch am Samstag war da von Wiener „Ibiza-Strizzis mit Bierbauch und Goldketterl“ zu lesen, auch von „Gentlemen-Rassisten und Edelpopulisten“ – und von einem jungen Ex-Kanzler, der „nicht nur Erfüllungsgehilfe der rechten Populisten“ sei, „sondern ihr Gleichgesinnter“. Von einem, an dessen Lernfähigkeit man Zweifel haben müsse.
Und da waren (wieder einmal) rot-weiß-rote Wortspender mit dabei, die problemlos eine Linie von Luegers Antisemitismus und Eichmanns Judenvernichtung über Waldheims „Pflichterfüllung“ bis zur Gegenwart zogen. Fazit: Das Wiener Polit-Drama sei wie „ein Blick in den Abgrund“ (Tagesanzeiger) – für ganz Europa. Denn Öster reich, das sei letztlich „eine Art politisches Versuchslabor“; sei jene „kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“ (Friedrich Hebbel, 1862).
Zurückgegebene Würde
Dann kam der Sonntagabend – und alles klang (nicht nur in der Schweiz) ein wenig anders: Wir, die Wähler, hatten unserer Heimat vor der Welt etwas wie Würde zurückgegeben. Selbst dem jungen Ex-Kanzler wurde nun eine „zweite Chance“ zugesprochen, unser „zunehmend gespaltenes, von Rücksichtslosigkeit und Ressentiments geprägtes Land“ neu zu positionieren. Allerdings: Sebastian Kurz müsse sich jetzt „nicht nur bewegen, sondern neu erfinden“. Denn seine bisherige Hoffnung auf eine „ordentliche Mitte-rechts-Politik ohne Grauslichkeiten“ sei doch „wie der Traum von warmen Eislutschern“ (Neue Zürcher Zeitung, vgl. nächste Seite).
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