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Österreich

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Die Beurteilung der Republik Osterreich in den Medien der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt von Ahnungslosigkeit, Aufsässigkeit und Neid. Vergessen scheint, daß wir Österreicher unsere Wälder opfern, Nachtruhe preisgeben und die Gesundheit der Kinder ruinieren, um dem deutschen Nachbarn seinen Handel auf Durchzugsstraßen zu ermöglichen; vergessen scheint, daß wir unsere Berge nur kahl bügeln, um unseren deutschen Freunden ihren kleinen winterlichen Ferienspaß zu garantieren; vergessen scheint, daß wir seit Jahren Literaten in der Kunst des öster-reich-Bepissens ausbilden und subventionieren, nur um unsere deutschen Freunde zwischen

Buchdeckeln oder auf Festspielbühnen zu erheitern.

Kein Dank! Wir müssen uns schmähen und verhöhnen lassen, nur wegen dieser paar sich ballenden Affären, Korruptionen, Schiebungen, Unterschlagungen, Diebstähle, Begünstigungen und Gedächtnislücken. Konsequent wird unterschlagen, wie sehr alle Vorkommnisse — jedenfalls für einen Kleinstaat — Weltniveau haben.

Da waren zunächst einmal diese süffisanten Nachweise der deutschen Presse, wonach Österreich vor 50 Jahren keineswegs zwangsangeschlossen worden war. Was soll der Vorwurf? Wen haben wir denn so begeistert empfangen, daß manche vor Armeausbreiten gar nicht mehr richtig zum Winken kamen? Die Deutschen. Und wer wurde uns an deren Spitze ins Land gekarrt? Einer von uns, dem sie sich längst schon angeschlossen hatten. Wir gingen vor einer Weltmacht in die Knie (im Sinne einer Gebetshaltung), die Deutschen einem Braunauer auf den Leim. Woher also das Recht zur Arroganz? 1938 war nicht Österreichs Heimkehr ins Reich, sondern Hitlers Heimkehr nach Österreich. Daß da gleich ganz Deutschland mitmarschierte, lag nicht in unserem Ermessen.

Freilich, es gibt einen Grund für den deutschen Zorn. Unsere allzu aufdringliche Genialität, mit der wir uns 1945 befreien ließen. Toleranz, Freunde, Toleranz! Unsere Nazis werfen Euch ja auch nicht mehr vor, den Krieg nicht gewonnen zu haben.

Möglicherweise - das ist freilich Spekulation — hat die Causa Waldheim mit Österreichs schlechtem Gewissen wegen seiner mühelosen Abkoppelung von Großdeutschland zu tun. Wir haben die Psychoanalyse eben nicht nur erfunden, Kompensation und Todessehnsucht — um nur zwei Varianten zu nennen — gehören zu unserem täglichen Leben. Sowas beherrscht bei uns fast jedes Kind.

Viele Österreicher haben diesen Präsidenten nur gewählt, um Buße zu tun. Und die Unfähigkeit der übrigen, ihn zu verachten, ist vergleichbar der Verbitterung, den ein Teil der deutschen Bevölkerung wegen der Anständigkeit ihres derzeitigen Staatsoberhauptes empfindet.

Deutsche, Ihr müßt uns über uns nicht aufklären, wir .wissen Bescheid! Der Leitartikel einer der größten konservativen (zur Zeit also nicht oppositionellen) Tageszeitungen hatte den Titel: „Republik der Skandale“. Und dieser Titel meinte die eigene Republik, nicht die angrenzende. So, Herrschaften!, und jetzt nennen Sie mir ein einer Regierungspartei nahestehendes Presseorgan, das zu dieser Selbsterkenntnis fähig wäre. Gar nicht daran zu denken! Aber freudig zitierte man die Frage eines österreichischen Blattes: „Hat die Mafia bei uns eine Filiale errichtet?“

Dabei überlasen die deutschen Kollegen die entscheidende Pointe dieser Fragestellung, das Wort „Filiale“.

In Österreich gibt es nur Filialen (im Nazireich war ganz Österreich eine Filiale), die Hauptquartiere und Geschäftsleitungen der großen Gangsterorganisationen sind jenseits unserer Grenze. Im Falle der Atom-Mafia haben wir Österreicher, die wir deutsche Zeitungen lesen, Grund zur Annahme, zu wissen, wo.

Man sollte beim Stichwort Atom in Erinnerung rufen, daß Österreich sein erstes und letztes Kernkraftwerk nur gebaut, nie in Betrieb genommen hat. Aber nur wegen einer irrtümlich falsch ausgegangenen Volksabstimmung, werden der Atomgeschichte Kundige hier einwerfen. Das ist richtig, sage ich als gelernter Österreicher. Aber eine derartige Schlamperei sollten uns die Deutschen erst einmal nachmachen.

Aus: ENDE DER SOMMERPAUSE. Satiren - Strophen - Selbstgespräche. Von Werner Schneyder. Kindler Verlag, München 1988. 255 Seiten, geb.. öS 218,40.

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