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Ohne Geld von Meer zu Meer

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Präsident Sadat hat am 6. Juni den Suezkanal, der seit dem Junikrieg 1967 unpassierbar war, wieder eröffnet. Mehr als hundert Jahre nach seinem Bau kann er wieder seine Rolle als wichtigste Wasserstraße der Welt aufnehmen. Aber wer weiß heute noch, welchen Anteil Österreich am seinerzeitigen Bau hatte?

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Präsident Sadat hat am 6. Juni den Suezkanal, der seit dem Junikrieg 1967 unpassierbar war, wieder eröffnet. Mehr als hundert Jahre nach seinem Bau kann er wieder seine Rolle als wichtigste Wasserstraße der Welt aufnehmen. Aber wer weiß heute noch, welchen Anteil Österreich am seinerzeitigen Bau hatte?

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Am 17. November 1869 wurde der Suezkanal im Beisien von Kaiserin Eugenie von Frankreich, Kaiser Franz Joseph von Österreich, vieler Fürsten, Staatsmänner, Gelehrter, Künstler und Kaufleute feierlich eröffnet. Guiseppe Verdi schuf aus diesem Anlaß die Oper „Aida“. Ein Name ging damals um die Welt und überstrahlte den Glanz des Festes: Ferdinand de Lesseps. Lesseps war aber erst 15 Jahre vorher zur Suezkanal-Projektierung gestoßen, als er 1854 bei Enfantin, dem Leiter der am 30. November 1846 gegründeten „Societe d'Etudes du Canal de Suez“ erstmals vorsprach. Nach 1897 erhob sich dann in Port Said ein Riesenstandbild Lesseps', dessen Linke demonstrativ den eingerollten Kanalbauplan umschloß, um so die Autorschaft vor aller Welt zu dokumentieren.

Zunächst sei darauf hingewiesen, daß schon um 2000 v. Chr. ein Wasserweg zwischen dem Ostarm des Nils, den Bitterseen und dem Roten Meer bestanden hat. Darius der Große ließ den Kanal wieder instandsetzen, und in der Ptolemäerzeit, ebenso wie von den Römern, und auch noch unter dem Khalif en Omar, wurde diese Wasserstraße benützt.

Die Entdeckung des Seeweges nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung und die Erschließung Amerikas lenkten den Schiffsverkehr in neue Richtungen. Erst die napoleonische Expedition zog das Weltinteresse wieder auf Ägypten; Napöledn seH&st trattö in genialer Voraussicht den Plan der Errichtung des Suezkanals ausgesprochen, aber mit der Niederlage der Franzosen in Ägypten war auch der Traum Napoleons von einer Wasserverbindung zwischen dem Mittelländischen und dem Roten Meer zu Ende.

In Ägypten blieb seit Napoleon die Suezkanalidee wirksam, insbesondere durch Enfantin. Aber auch der österreichische Generalkonsul Laurin unterbreitete Fürst Metternich Vorschläge für den Bau des Kanals. Vizekönig Muhammad Ali (1805 bis 1849) schrieb an Fürst Metternich nach Wien und drückte seine Bereitschaft zu Verhandlungen über die Verwirklichung des Projektes aus, nur sollte Ägypten der Fruchtgenuß zufallen. Nach dem Wunsche des Vizekönigs sollten die Verhandlungen geheim geführt werden. Metternich schrieb an den Präsidenten der k. u. k. Hofkammer, Freiherrn von Kübeck, er (Metternich) sehe den Kanal als ein Weltereignis erster Größe an, das für Österreich eine neue Zukunft eröffnen werde; insbesondere würde Triest, die damals größte Hafenstadt Österreichs, aufblühen.

In Deutschland wurde der Bankier Dufour-Feronce ein unentwegter Verfechter des Suezgedankens, und von Frankreich aus regte im Jahre 1845 Enfantin die Gründung einer Gesellschaft für den Bau des Suezkanals an, woraufhin Dufour die Bestellung eines technischen Triumvirates, bstehend aus Robert Stephen-son (England), Paulin Talabot (Frankreich.) und Alois Negrelli, den „einzigen Mann in Deutschland, der diesen Ingenieuren an die Seite zu stellen sei und der sie in vielen Beziehungen überrage“, vorschlug.

Alois Negrelli erblickte am 23. Jänner 1799 als siebentes Kind des Gutsbesitzers Angelo Michele und seiner deutschen Ehefrau Elisabeth in Pri-miero, das damals zu Österreich gehörte, das Licht der Welt. Im Feldzug von 1809 führte Angelo Negrelli den österreichischen Landsturm von Primiero gegen die kriegserprobte Armee Napoleons. Das kleine Fähnlein beherzter Patrioten wurde völlig aufgerieben, ihr Anführer, Negrelli,

in fünfjähriger Festungshaft gehalten. Während dieser Zeit mußte Mutter Elisabeth für neun minderjährige Kinder sorgen, bis Vater Negrelli in das durch Kontributionen und Naturkatastrophen verarmte Primiero heimkehrte. Der hochbegabte Sohn Alois hatte zwar .«ein Studium in Feltre begonnen, hätte es aber aufgeben müssen, wenn nicht Kaiser Franz das Weiterstudium durch ein

Stipendium aus der kaiserlichen Privatschatulle ermöglicht hätte. Im Genuße dieses kaiserlichen Stipendiums konnte Alois sein Studium mit ausgezeichnetem Erfolg abschließen. Er trat in den technischen Dienst bei der Baudirektion in Innsbruck ein. Bald wurde man auf seine großen Fachkenntnisse aufmerksam und er nahm 1832 die Stelle eines Straßen-und Wasserbauinspektors in St. Gallen (Schweiz) an. Schon drei Jahre später wählte ihn die Kaufmannschaft von Zürich zu ihrem leitenden Ingenieur und in dieser Eigenschaft entwarf er einen vielbeachteten Gesamtverkehrsplan für die Schweiz. In Genf traf er wiederholt mit Alexander von Humboldt zusammen, der ihn für das Suezprojekt zu begeistern wußte.

Im Jahre 1840 übernahm Negrelli bei der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn die Stelle eines Generalinspektors der bautechnischen Arbeiten und bald darauf folgte seine Berufung in die Generaldirektion der österreichischen Staatseisenbahnen. In dieser Stellung erreichte ihn die Einladung zur Mitarbeit an der Vorplanung des Suezkanals.

Vor Negrelli hatte schon Ingenieur Lenant de Bellefont in groben Zügen einen Plan für den Suezkanal entworfen, unter Zugrundelegung einer Vermessung von Lepere im Jahre 1799, die irrtümlich einen sechzehn Meter-Höhenunterschied zwischen dem Roten und dem Mittelländischen Meer ausgewiesen hatte. Zwei Schleusen sollten demnach die große Differenz überwinden. Lenant schätzte die Gesamtbaukosten auf nur 45 Millionen Francs und Negrelli plante auf Grund dieser relativ niederen Baukostensumme eine mitteleuropäische Gesellschaft zur Aufbringung der Baukosten.

Schon am 27. November 1846 begannen in Paris die Beratungen führender Fachmänner aus Frankreich, Deutschland, Österreich und England, am 3. November wurde dann die Studiengesellschaft für den Suezkanal gegründet, die drei Gruppen, darunter die österreichisch-deutsche mit Negrelli an der Spitze, umfaßte. Im Winter 1847/48 sollten in drei Arbeitsabschnitten die Vorarbeiten in Ägypten begonnen werden, und zwar sollte Negrelli die Nordküste für die Führung der Kanalmündung untersuchen lassen, während Ste-

phenson den entsprechenden Küstenabschnitt im Süden und Talabot die Höhenaufnahmen zwischen Tineh und Suez übernehmen sollten.

Von den oben genannten drei Gruppen war die österreichischdeutsche die aktivste. Die Stadt Triest, die Handelskammer Triest, der österreichische Lloyd mit Freiherrn von Bruck an der Spitze, der niederösterreichische Gewerbeverein und die Handelskammer Venedig traten ihr als Mitglieder bei. Schon am 3. März trat die österreichische Ingenieursabteilung die Reise nach Alexandrien an. Negrelli übertrug die administrative Betreuung und die Aufgabe laufender Berichterstattung dem Expeditionssekretär, Karl Jassnüger.

Im Jahre 1849 war Negrelli, zum

Sektionsrat ernannt, mit der Leitung der Oberdirektion für öffentliche Bauten im Königreich Lombardei-Venetien betraut worden. Neben dieser1 großen Arbeitslästiv^rmocHte er auf Grund der Vermessungen von 1847 den Plan für eine schleusenlose, unmittelbare Verbindung zwischen dem Mittelmeer und Suez auszuarbeiten. Der unermüdliche österreichische Sektionsrat drängte im Verein mit Enfantin und Dufour auf rasche Verwirklichung des Kanals, England dagegen bremste durch . lähmende Gleichgültigkeit jedes gemeinsame Vorgehen, weil der Suezplan in erster Linie die Seefahrt der Mittelmeerländer, dazu gehörte damals auch Österreich, zu begünstigen schien.

Inzwischen waren Jahre vergangen und in Ägypten wurde 1854 'Alis Nachfolger, Khedive Abba, der europäischen Vorschlägen und damit dem Suezprojekt nicht zugänglich war, ermordet, sein 35jähriger Oheim Sa'id, ein Mann von europäischer Bildung, übernahm die Regierung. Unter den Gratulanten zum Regierungsantritt Vizekönig Sa'id's stellte sich der Franzose Ferdinand Lesseps ein, der, geboren 1805, Generalkonsul in Kairo war und dort Reitlehrer und Freund des Prinzen Sa'id wurde. Nach einem diplomatischen Fehlschlag in Rom, wohin ihn Napoleon III. im Jahre 1850 in geheimer Mission gesandt hatte, mußte er den Staatsdienst quittieren und benützte die unfreiwillige Muße zum Studium des Suezproblems. In Paris trat er mit Enfantin in Verbindung, der ihm bereitwillig Einblick in die Arbeiten der Studiengesellschaft gewährte.

Im Oktober 1854 reiste Lesseps zu Vizekönig Sa'id nach Ägypten und überreichte seinem Freund ein Memorandum, in dem die Studiengesellschaft nur als eine abgetane Angelegenheit erwähnt wird. Am 19. Mai 1855 erhielt er einen Ferman ausgefolgt, der ihm die Vollmacht, eine „Suez-Baugesellschaft“ zu gründen und zu leiten, bescheinigte. Durch eine ungenaue, wenn nicht gar gefälschte Übersetzung suchte er die Studiengesellschaft auszuschalten, indem er von einer ihm erteilten Baukonzession, die laut Ferman nur der Sultan erteilen konnte, sprach.

In Paris entwarf Enfantin, auf Drängen des französischen Außenministeriums, die Statuten für eine zwischenstaatliche Suezgesellschaft, wovon er nur Negrelli und Dufour-

Arles in Kenntnis setzte. Als Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft sah er Erzherzog Maximilian von Österreich, den späteren Kaiser von Mexiko, oder den österreichischen Minister Baron Bruck vor. . Lesseps dagegen ging seine eigenen Wege. Vor allem wollte er bei der Hohen Pforte in Konstantinopel die Bauerlaubnis erreichen, die er nur durch die Zustimmung Englands, das damals beim Sultan in hohem Ansehen stand und vielfach dessen Entscheidungen mitbestimmte, erlangen konnte. London aber stellte sich gegen das Suezprojekt. Unverrichteter Dinge reiste Lesseps nach Ägypten, um durch seinen Freund, Khedive Sa'id, die Baukonzession vom Sultan zu erwirken.

Am 30. April 1855 überreichte er dem Vizekönig einen Entwurf und eine Gründerliste, auf der nachweisbar die Namen Negrellis und des österreichischen Finanzministers Bruck standen, während alle französischen und englischen Mitglieder der Studiengesellschaft übergangen waren. Die beiden Österreicher schienen Lesseps für seine zu gründende Gesellschaft unersetzlich zu sein. Da-

gegen hatte er in einer Audienz bei Napoleon III., die durch Vermittlung der Kaiserin Eugenie zustande gekommen war, die Studiengesellschaft und deTen Gründer Enfantin völlig uDerrundet. Wenn auch das Vorgehen Lesseps' nicht gerade vertrauenerregend war, so erreichte er doch, daß überall in der Welt das Suezprojekt bekannt und diskutiert wurde.

Am 23. Juni 1856 eröffnete Negrelli die erste Sitzung der „Internationalen Kommission für den Meereskanal von Suez“ in Paris. Fünf Entwürfe wurden vorgelegt, nur zwei sahen eine direkte Verbindung beider Meere vor, einer davon stammte von Negrelli. Dieser Kanalplan bedurfte keiner kostspieligen Schleusen und sollte auch, für die größten Hochseeschiffe von damals passierbar sein. Er verzichtete auch auf eine Wasserspeisung aus einem Nilarm. Außerdem stellte Negrellis Plan die kürzeste Verbindung zwischen beiden Meeren dar und führte direkt in die von Schiffen befahrbare Fläche des Mittelmeeres.

Lesseps machte, klug wie er war, von Anfang an alle Vorschläge Negrellis zu den seinigen. In einem Brief nennt er Negrelli die „Säule des schleusenlosen Kanals“, aber wohlweislich hat, er diesen Brief in seinen „Erinnerungen“ nicht veröffentlicht.

In den folgenden sechs Sitzungen der Kommission wurden alle noch offenen technischen Fragen gelöst, der endgültige Entwurf wurde dem Vizekönig zur Erlangung der Genehmigung durch den Sultan zugesandt.

In Deutschland und Österreich wurde der Sieg des kürzesten und schleusenlosen Kanalprojektes, also der Planung Negrellis, mit Freude begrüßt. Lesseps kam abermals nach Wien, um bei Fürst Metternich Ratschläge betreffs der noch ausstehenden Baukonzession durch den Sultan einzuholen. Der Rat des ehemaligen Staatskanzlers bewahrte zwar Lesseps vor einem Bruch mit der Hohen Pforte, ließ aber doch eine Möglichkeit zu selbständigem Vorgehen offen.

1857 wurden die Arbeiten am Süßwasser-Kanal begonnen, zugleich ernannte der Vizekönig Sa'id Negrelli zum Oberinspektor der Suezkanalbauten. Die von Lesseps im Auftrage Sa'id's verfaßte Urkunde für Negrelli ist mit 20. August 1857 datiert, aber

ebenfalls in den „Erinnerungen“ von Lesseps nicht wiedergegeben. Dieser bemühte sich abermals in London, bei Lord Palmerston, vergebens um Unterstützimg seines Ansuchens in Konstantinopel. Dagegen betonte der österreichische Finanzminister Baron Bruck in seiner Rede in Laibach zur Eröffnung des letzten Teilstückes der Südbahn die eminente Bedeutung des Suezkanals für Österreich und schlug vor, dem unentwegten Verfechter dieses Großunternehmens, Lesseps, lebhafte Zustimmung erkennen zu geben. Dieser wußte das Gewicht dieser Anerkennung in einer so schwierigen Lage wohl zu schätzen und ersuchte von London aus Negrelli, dem Finanzminister Bruck seinen verbindlichen Dank auszusprechen.

Am 28. Februar 1858 wurde Lord Palmerston, der unnachgiebige Gegner des Suezprojektes, gestürzt, aber auch sein Nachfolger, Graf Eduard Derby, der Lord Disraeli als Schatzkanzler berief (welcher dann 1875 die Majorität der Suezaktien hinter dem Rücken Frankreichs ankaufen sollte), verhielt sich ablehnend. Auch Stephenson, selbst Mitglied der

Suez-Ingenieurs-Kommission, erklärte, der gefällelose Suezkanal werde eine „stinkende Gosse sein, in die man gutes Geld werfe“. Negrelli konterte mit überlegenem technischem Wissen, Stephenson verteidigte sich ausführlich in der „Times“ und Negrelli erwiderte darauf, es sei ihm peinlich, Stephenson große Oberflächlichkeit vorwerfen zu müssen. Durch diese Polemik wurde Negrelli vor der europäischen Öffentlichkeit zum Hauptanwalt zugunsten des Suezvorhabens und damit auch zugunsten von Lesseps, der sich in einer fast ausweglosen Lage befand: er war noch immer ohne Baukonzession von Seiten der Hohen Pforte. Enfantin drohte mit Enthüllungen, und von den für den Kanalbau notwendigen 600 Millionen Francs war nur ein Bruchteil eingelaufen.

In dieser Bedrängnis wandte Lesseps sich in einem ausführlichen Schreiben an Negrelli: „Sie selbst stehen mit zehn Gründeraktien auf der Liste der Teilhaber der neuen Gesellschaft, und der Vizekönig hat Sie zum Generalinspektor der Kanalbauten ernannt. Ich darf Sie wohl die Seele der ganzen Aktion nennen. Helfen Sie mir, Fehler der Vergangenheit gutzumachen und führen Sie Ihre Freunde der Sache wieder zu.“

Mit dem Tode Negrellis und des Barons von Bruck (1860) hatte die Suezidee ihre eifrigsten Verfechter in Österreich verloren, das während der Ausführungsarbeiten nach dem Ne-grelli'schen Kanalplan (1859 bis 1869) in einem unglücklichen Krieg gegen Italien und Preußen stand, aber dennoch sein Ansehen durch seinen hervorragenden Diplomaten Graf Pro-kesch von Osten bei der Hohen Pforte und im Vorderen Orient erhöhen konnte. Dazu trug auch die Teilnahme Kaiser Franz Josephs an der Suezkanaleröffnung bei.

Die Welt weiß heute, daß der Suezkanalplan nicht Lesseps', sondern Negrellis Werk war. Vielleicht erhebt sich nach der Wiedereröffnung des Suezkanals einmal ein neuer Gedenkstein, der auch den Namen Negrelli trägt, wie die Rue Negrelli in Ismailia, oder die Inschrift an seinem Geburtshaus in Fiera di Primiero, oder wie die Widmung der Gemeinde Wien an dem Ehrengrabmal auf dem Zentralfriedhof bezeugt: „Alois Negrelli — ihm verdankt die Welt die Schaffung des Suezkanals.“

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