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Metternich und der Suezkanal

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Im Herbst des Jahres 1842 trat die Frage der Durchstechung der Landenge von Suez, des Baus eines Großschiffahrtsweges vom Mittelländischen zum Roten Meer, in ein neues Stadium der Entwicklung. Hatte man dieses weltpolitische Problem, das seit Bonapartes Ägyptenzug dem Bewußtsein Europas nicht wieder entschwunden war, in den letzten Dezennien nur von privater Seite, vor allem in Frankreich, lebhaft erörtert und studiert, so schalteten sich nun, 1842, zwei Männer in den Gang der Ereignisse ein, von denen man eine entscheidende Förderung des großen Projekts erwarten durfte, der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich und der Vizekönig, damals eigentlich richtiger noch Erbstatthalter von Ägypten: M e h m e d Ali Pascha.

Metternich hatte schon in den dreißiger Jahren die Studien und Vorarbeiten der französischen Saint-Simonisten, das heißt der Anhänger des Grafen von Saint-Simon, die das Kanalprojekt, so wie einst ihr Stifter 1783 das Projekt des

Panamakanals und 1787 das Projekt des Madrider Seekanals, in religiöser Begeisterung vertraten, mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt und sich darüber tortlaufend berichten lassen. Erhoffte er sich doch von der Verwirklichung dieses Kanalbaus eine weitgehende, entscheidende Belebung des österreichischen Handels, ja letzten Endes nichts Geringeres, als daß Österreich dann auch zur See eine seiner Landmacht entsprechende Rolle zufallen würde. Der Führer, „Vater“, wie er sich nannte, der Saint-Simo-nicten, Prosper Enfantin, und sein Stab, die 1833 nach Ägypten gekommen waren, hatten indes dort bei dem selbstherrlich schaltenden, in seiner Art genialen Mehmed Ali zunächst nur geringes Interesse für ihren großen Plan gefunden. Der Pascha war zur Zeit mit anderen Projekten, vor allem dem der Erbauung eines großen Nilstaudammes bei Kairo, vollauf beschäftigt. Es war das Verdienst des von Metternich dahin angewiesenen österreichischen Generalkonsuls L a u r i n und des in ägyptischen Diensten stehenden französischen Ingenieurs L i n a n t, den Vizekönig nun, 1842, für den großen Plan des Kanalbaus zu gewinnen, und da er sich ihn einmal zu eigen gemacht, verfolgte er ihn mit Feuereifer und mit seiner gewohnten Energie. Die Durchführbarkeit des Werkes schien erwiesen und nach den Aussagen und Berechnungen Linants nicht schwierig, die Vorteile für Ägypten und für ihn, den Pascha selbst, waren evident, doch die unbedingt nötige diplomatische Vorbereitung erschien schwer und überaus heikel. An wen sollte Mehmed Ali sich dabei lehnen? An seinen Souverän, den Sultan? — Der Kanal sollte ihm dodi mit-dazu helfen, die türkische Fessel vollends abzustreifen. An England? — Die Politik dieses Landes, dem Ägypten allzu verlockend auf dem Weg nach Indien lag, erfüllte ihn seit jeher mit Mißtrauen. An Frankreich? — Das konnte er nicht wegen der dann sofort regen Rivalität Englands. Blieb das neutrale Österreich, blieb der alte „Kutscher Europas“, Fürst Metternich, dessen Vertreter Laurin ja so warm für dieses Projekt eintrat.

„Gleich bei meiner Ankunft hier“, schrieb der Generalkonsul am 24. Dezember 1842 an den Staatskanzler, „hat mir Mehmed Ali Pascha eröffnet, daß er nun beschlossen habe, eine Verbindung des Roten Meeres mit dem Mittelländischen mittels eines Kanals durch den Isthmus herzustellen... Er versprach, mir die Arbeiten der Ingenieure, welche in diesem Augenblicke mit der Aufnahme des Terrains beschäftigt sind, seinerzeit mitzuteilen, und ich werde nicht ermangeln, sie Euer Durchlaucht mitzuteilen.“ Diese Pläne folgten in der Tat am 1. Februar 184J mit einem Bericht Laurins, der uns auch einen überaus treffenden Ausspruch Mehmeds über die künftige Entwicklung dar Kanalfrage überliefert: „Sein Vater glaube“, hatte Ibrahim Pascha, Mehmeds kriegerischer Adoptivsohn, dem Generalkonsul fachend erzählt, „daß die Engländer, wenn der Kanal gebaut sein würde, diesem die Türen einpassen — aber die Schlüssel dazu in ihre eigene Tasche stecken würden!“ — Kann man die späteren Ereignisse besser charakterisieren?

Metternich ging in der Antwort auf diesen Bericht ausführlich auf die beiden Hauptfragen des Paschas ein: die Zusicherung des Besitzrechtes an dem Kanal und die Frage „eines angemessenen Fruchtgenusses“, das heißt der Einhebung von Transitgebühren. In beiden Punkten sagte er Mehmed volle Unterstützung zu. und machte sich anheischig, „im Interesse der Sache auf die Stimmung anderer Regierungen vom freien österreichischen Standpunkte aus nützlich einzuwirken“. Es kam nicht mehr dazu, da Mehmed All auf. den sonderbaren Gedanken verfiel, Metternich bitten zu lassen, er möge ihm über Art und Höhe der einzuhebenden Gebühren genaue Vorschläge machen. Darauf konnte der Fürst natürlich nicht eingehen, und so geriet der zunächst so vielversprechende Gedankenaustausch zwischen den beiden Männern wieder ins Stocken. Auch wurde die Frage nun nochmals von privater Seite aufgegriffen, so daß sich eine förmliche diplomatische Intervention zunächst erübrigte.

Den Saint-Simonisten war es nämlich im Verein mit einer deutschen und einer englischen Gruppe gelungen, eine Studiengesellschaft für den Suezkanal, die „Sociöte d'etudes du Canal de Suez“, ins Lehen zu rufen. Der deutschen Gruppe gehörte mit Zustimmung Metternichs auch der geniale österreichische Ingenieur Alois N e g r e 11 i an, der sich alsbald als der führende Kopf der ganzen ,sSociete“ entpuppte. Auf sein Betreiben wurden im Jahre 1846 eine österreichische und eine französische Ingenieurbrigade gebildet, die an Ort und Stelle die nötigen Aufnahmen durchführen sollten. Aber das war leichter gesagt als getan; denn nun galt es zunächst, die Eifersucht Mehmed Alis, der den Bau des Kanals ja auf eigene Kosten und nach eigenen Plänen hatte durchführen wollen, zu überwinden. So mußte nochmals der greise österreichische Staatskanzler intervenieren und bei dem ungeheuren Prestige, das dieser wie die Monarchie überhaupt im ganzen Vorderen Orient genoß, gelang es schnell, die tatkräftige Unterstützung des Vizekönigs für die geplanten Arbeiten zu gewinnen. Wohl mußten die Ingenieure, wie Generalkonsul Laurin berichtete, oft unter den abenteuerlichsten Verhältnissen ihre schwere Arbeit verrichten, aber ihre Aufnahmen ermöglichten es Negrelli dennoch, seine Pläne für den Kanalbau bis ins letzte Detail auszuarbeiten.

Es würde viel zu weit führen, alle die Schwierigkeiten sachlicher, persönlicher und politischer Natur, die sich seit dem Jahre 184-7 der Vollendung des Werkes noch entgegenstellten, hier auch nur zu erwähnen. Mehmed Ali verfiel noch im selben Jahr in geistige Umnachtung und starb am 2. August 1849 in seinem Palast am Hafen von Alexandria. Den Fürsten Metternich, den tatkräftigsten Förderer des gioßen Plans, stürzte die Märzrevolution 1848. Negrelli selbst starb, nachdem er trotz aller Rückschläge rastlos für die Vollendung seines Werkes gewirkt und geworben, am 1. Oktober 1858.

Inzwischen aber war dem Kanalprojekt ein neuer Vorkämpfer erstanden, ein Vorkämpfer von erstaunlicher Tatkraft und Beharrlichkeit, Ferdinand von L e s-s e p s. Er hatte von der Witwe Negrellis die von diesem ausgearbeiteten Pläne übernommen und schob nun, als sie ihm nichts mehr nützen konnte, die ganze schwerfällige „Society d'etudes“ kurzerhand beiseite, den Kampf auf eigenes Risiko und mit oft gewagten Mitteln fortsetzend. Aber es gelang ihm, die Ausführung von Negrellis nur ganz unwesentlich abgeänderten Plänen, allerdings unter eigener Marke, zu verwirklichen: am 16. November 1869 wurde im Beisein zahlreicher Fürstlichkeiten — darunter an erster Stelle Kaiser Franz Josephs — und unter Festlichkeiten, für die der Khedive zwanzig Millionen Franken aufwendete, der Kanal feierlich eröffnet.

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