6897679-1980_17_05.jpg
Digital In Arbeit

Persönliche Impressionen

19451960198020002020

Jede Besinnung auf Österreich, auf unsere Zweite Republik, muß mit dem Jahr 1945 beginnen, mit jenen Tagen und Wochen, in denen ein erbarmungsloser Krieg zu Ende ging. Dieses Ende mit Schrecken und Zerstörung fiel mit einem neuen Beginn und neuen Hoffnungen zusammen. Zwei Zeitgenossen, die all das miterlebt haben, haben hier ihre Erinnerungen festgehalten.

19451960198020002020

Jede Besinnung auf Österreich, auf unsere Zweite Republik, muß mit dem Jahr 1945 beginnen, mit jenen Tagen und Wochen, in denen ein erbarmungsloser Krieg zu Ende ging. Dieses Ende mit Schrecken und Zerstörung fiel mit einem neuen Beginn und neuen Hoffnungen zusammen. Zwei Zeitgenossen, die all das miterlebt haben, haben hier ihre Erinnerungen festgehalten.

Werbung
Werbung
Werbung

Was im Frühjahr 1945 geschehen ist, im Großen wie im Kleinen, in Europa, im rapid auf die Berliner Stadtgrenzen zusammenschrumpfenden „Großdeutschen Reich”, im neu entstehenden Österreich und in Wien, ist Sache der Historiker.

Aber viele, die sich heute anschicken, Historiker zu werden oder sich bereits zwischen dem militärischen Widerstand und dem Armeeoberkommando Tolbuchins getroffenen Vereinbarungen.

Am Abend des 13. April 1945 ruhten im Räume Wien die Waffen. Der von einer verantwortungslosen Führung herausgeforderte Kampf war beendet.

Obwohl kein Zweifel besteht, daß bei der Befreiung Wiens die Sowjetarmee selbst dann, wenn der Plan des militärischen Widerstandes einen vollen Erfolg gezeitigt hätte, das Schwergewicht des Kampfes zu tragen gehabt hätte, so darf nicht übersehen werden, daß von österreichischer Seite ein guter Teil zum raschen Fall der Stadt beigetragen wurde.

Dieser Beitrag, gemessen an den beiden Seiten ersparten Blutopfern, gemessen an den verhüteten weiteren Zerstörungen der Millionenstadt Wien, kann ohne Übertreibung als wesentlich für die Befreiung Österreichs angesehen und als aktiver Beitrag im Sinne der Forderung der Moskauer Deklaration von 1943 gewertet werden.

Österreich hat sein wiedergewonnenes Ansehen auch heute noch jenen namenlosen Frauen und Männern zu verdanken, die trotz der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihren Glauben an Österreich bewahrten, vielfach Opfer ihrer Gesinnungstreue wurden oder sich, dem Rufe ihres Gewissens folgend, empört gegen die organisierte Unmenschlichkeit und die Grausamkeit der Hitler-Diktatur erhoben, damit in unserem Lande wieder Recht, Freiheit und Menschenwürde ihre alte Geltung haben können.

Einer der Nicht-Namenlosen, die in jener Stunde zur Stelle waren, um unter Einsatz ihres Lebens die rotweißrote Fahne wieder zu hissen, war der nachmalige Gendarmerieoberst Ferdinand Käs. Die FURCHE rechnet es sich zur Ehre an, ihn für diesen Beitrag gewonnen zu haben. auf den Lehrstühlen zu etablieren, haben das Jahr 1945 nicht oder nicht bewußt erlebt. Hier soll auch nicht die Rede davon sein, was damals geschah, sondern nur vom Wie.

Ich habe das Jahr 1945 als junger Mensch in Wien erlebt, aber wann die Truppen des Marschalls Tolbuchin nun tatsächlich die Stadtgrenzen erreichten, habe ich nicht vergessen, sondern nie gewußt. Daten haben mich nie interessiert. Hier soll nur von dem die Rede sein, woran ich mich erinnern kann.

Ich erinnere mich daran, daß die Russen längst die Innere Stadt erobert hatten, als wir im Zweiten Bezirk noch die SS hatten. Ich erinnere mich an die späten Abendstunden im April, an meine Brandwache auf dem Dachboden, an einen Blick aus dem Dachbodenfenster und an eine seltsame Mischung von Unbeteiligtheit und Trauer angesichts aus dem Dach der Stephanskirche schlagenden Flammen.

Ich erinnere mich an ein Haus an der Ecke, das Stunden vorher von einer Granate getroffen worden war und in dem sich nun die Flammen langsam von Stock zu Stock der Erde entgegen fraßen, und ich erinnere mich an das Kopfschütteln und Achselzucken meiner eigenen „Hausgemeinschaft”, der es nicht gelungen war, „denen drüben”, klarzumachen, daß sie den Keller verlassen mußten. Massenhysterie kann auch zwanzig, dreißig Leute erfassen. Sie blieben im Keller, in regloser Panik, bis das Haus über ihnen zusammenbrach.

Ich erinnere mich noch genau an jene Straßenecke, an der ich viele Jahre später von Freunden hörte, unter den Opfern sei ein jüdisches „U-Boot” gewesen, ein alter Mann, dem es gelungen war, den Krieg in einem Versteck in jenem Haus zu überdauern.

Weitere Jahre später wurde dort ein Neubau errichtet. Mit dem Schutt müssen auch ein paar Knochenreste ausgebaggert worden sein.

Die Erinnerungen sind im Kopf nicht zeitlich geordnet und sie kommen und gehen, wie sie wollen. Bis vor wenigen Jahren konnte ich nicht in der Oper sitzen, ohne von der Erinnerung an die hastig aus dem brennenden Haus geschleppten und achtlos auf dem Gehsteig aufgeschlichteten Instrumente und Notenbündel behelligt zu werden.

In letzter Zeit denke ich wieder öfter an ein totes Pferd, das auf dem Schwedenplatz von einer Granate zerfetzt worden war. Wie die Raben hockten die Menschen auf dem Kadaver und zerlegten ihn mit ihren Messern und die in den Himmel ragenden Beine des Pferdes schwankten hin und her. Wie eine Zeichnung von Kubin - aber Kubin habe ich damals noch nicht gekannt.

Aber es sind nicht diese Bilder, die es am meisten verdienen, festgehalten und überliefert zu werden. Es gibt da noch andere Episoden.

Wien, Anfang April 1945 - das war keine Stadt, die ihren Untergang erwartete, das war eine Stadt, die „es” end-lichhinter sich haben und zur neuen Tagesordnung übergehen wollte. „Es”: Die Bomben, die Granaten, die SS-Streifen, die Suche nach Deserteuren.

Es gibt ein von der Wirklichkeit ver-anstaltetes Kabarett, das von keiner Erfindung zu schlagen ist.

Ich glaube, kein Autor könnte den Dialog übertreffen, der sich in einem Keller im Zweiten Bezirk abspielte, während die Schallplatten mit „Deutschland-” und „Horst-Wessel-Lied” zerbrochen wurden.

Es war ein feierlicher Akt. Ich staunte. Der Luftschutzwart, der Herr, der vor wenigen Tagen noch das Goldene Parteiabzeichen (oder war es ein gewöhnliches?) nicht nur getragen, sondern auch auf seiner Wohnungstür zur Schau gestellt hatte, sie alle waren also Antinazis. Sie hatten also ihre NS-Be-geisterung nur gespielt. Sie waren in Wirklichkeit Antifaschisten gewesen.

Ich freute mich. Ich glaubte ihnen. Ich war offenbar grenzenlos naiv.

Und ich erinnere mich an die Bombentrichter. Bombentrichter werden für mich immer auch ein Assoziations-Auslöser für den Herrn Karl bleiben, diesen Inbegriff des Wiener Opportunisten. Denn wer schlich da heimlich um die Ecke zum nächsten Bombentrichter? Der Herr von nebenan war es. Und auf dem Arm hatte er etwas Braunes, und schwupps, da lag die schöne braune Uniform im Trichter, und schwupps, die Stiefel flogen hinterher, und wenn der Herr Karl um die Insignien seiner Würde und seines nationalen Mannesstolzes getrauert hat, dann mag es ihm ein Trost gewesen sein, daß sie wenigstens weich gefallen ist, die schöne braune Uniform. Und sie fiel auch keineswegs gleich brutal in den Schlamm, denn da unten im Bombentrichter, da lagen schon eine Menge solcher Uniformen.

Und seltsame Konfetti lagen rundherum um alle Bombentrichter Wiens, es waren die Parteiabzeichen, die goldenen und die gewöhnlichen, und allerhand sonstige Ab- und Ehrenzeichen.

Fasching war ja damals gerade erst vorbei, soweit ich mich erinnere, und Wien hatte seine politische Faschingsdekoration. Konfetti unter den wüst auf die Straßen herunterhängenden stromlosen Leitungen. Und als die Russen da waren, wurde die Dekoration um eine Attraktion bereichert.

Wien flaggte rot. Ein Meer roter Fahnen. Verblichen ein wenig, denn es war viel geflaggt worden in jenen Jahren, doch jede mit einem von der Sonne verschonten schönen dunkelroten Kreis in der Mitte. Da und dort auch noch schemenhaft die Ahnung von einem Hakenkreuz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung