7024383-1989_05_16.jpg
Digital In Arbeit

Prost Mahkeit!

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn Sie zu den vernünftigen Zeitgenossen gehören, die sich im Spiegel grundsätzlich nur von vorne betrachten, dann sind Ihnen sicherlich die körperlichen Folgen der festtäglichen Sünden der letzten Zeit verborgen geblieben. Kaum ein Mensch wird in kurzer Zeit en face dick.

Im Profil sieht das natürlich ganz anders aus, da bleibt keine überflüssige Kalorie verborgen, ganz im Gegenteil. Uber eher kurz als lang fließt es an allen Enden über, und die sportlichen Kanten des jugendlichen Körpers präsentieren sich im Spiegel so rund, wie sie eben geworden sind.

Wenn Sie also wissen wollen, ob Sie auch noch nach all Ihren diätischen Sünden zur Erfolgsgeneration hier und heute gehören, dann bleibt Ihnen keine andere Wahl: Sie müssen sich vor dem so gnädig scheinenden Spiegel um recht exakt neunzig Grade drehen, je nach örtlicher oder politischer Gegebenheit nach rechts oder nach links.

Bleibt die Silhouette schmal, zeigen sich die naturbedingten Erhebungen eher flach und - vor allem - strikt an den hierfür zulässigen Stellen, dann steht Ihnen auch fürderhin eine glänzende Karriere in Wirtschaft und Verwaltung, in den Medien und - ja auch - in der Politik offen. Wenn es sich allerdings allseitig wölbt und rundet, wenn der Flanell zu platzen droht und die Krawatte die Kluft zwischen den offenen Hemdkragen nicht mehr verdek-ken kann, dann steht es um Ihre beruflichen Chancen mehr als schlecht.

Früher war dies natürlich alles ganz anders. Beispielsweise in der Zeit der Schieber imd des großen Börsenkrachs vor gut sechzig Jahren erkannte man die Erfolgreichen an ihrer beängstigenden Leibesfülle und den in jeder Hinsicht entsprechenden Accessoires - von der flaschendicken Havanna bis zum Cadillac, der sich auch bestens für Schwertransporte aller Art geeignet hätte. In der Wirtschaftswunderzeit der fünfziger Jahre war es nicht anders.

Damit man in diesen glücklichen Tagen als wirtschaftlicher oder politischer Tycoon auch stets über das erforderliche Kampfgewicht verfügte, verbrachte man die halben Tage mit dem Vertilgen von kalorienträchtigen flüssigen und festen Nährstoffen. Bei allen Sitzungen wurden fette Imbisse und zahnziehende Süßigkeiten gereichtf ohne Alkoholika wurden Geschäftsbesprechungen weder begonnen, noch geführt, noch vertagt.

Heute freilich! Nur dessen Wort hat in Vorstandsetagen und Regierungskreisen Gewicht, der kaum noch etwas wiegt. Nicht länger wollen bedeutende Zeitgenossen heute beleibte Männer um sich haben, gleichgültig, ob diese des Nachts gut schlafen oder sich infolge zu schwerer Kost unruhig im Bette wälzen. Jeder, der mehr wiegt als der sprichwörtliche Schneider, wird als zu schwer befunden.

Was wunder, wenn für die Verantwortungsträger, die alles nur nicht Gewichtsträger sein dürfen, nichts bleibt als die sündteure „Küche der leeren Teller“, bei deren übersichtlichen Menüs die Menge der mit Pomp aufgetragenen Köstlichkeiten in auffallendem Gegensatz zu den horrenden Preisen steht. Und wer bei einem Geschäftsessen erfolgreicher, wenngleich nicht selten mürrischer Asketen vielleicht ein harmloses Bier bestellen sollte, der möge alle Hoffnung auf Geschäftsabschlüsse oder Laufbahnsprünge fahren lassen. Nur wer kaum mehr zu sehen ist, der darf sich in der kritischen Öffentlichkeit sehen lassen.

Deshalb geht es den Schreiberlingen im Verborgenen auch viel, viel besser als all den wichtigen und erfolgreichen öffentlichen Menschen. Sie dürfen essen und trinken was sie wollen, sie können dick werden oder bleiben, brauchen sich weder zu stählen noch zu bräunen. Es sieht sie ja keiner. Es sei denn, daß man sie - weil ihre Produkte unerwarteten Erfolg hatten - vor Kameras oder auf Podien zerrt. Aber diese Gefahr ist vergleichsweise gering. Allerdings: Wirtschaft und Politik sollen in diesen Tagen die ,JCultur“ entdeckt haben. Na, Prost Mahlzeit!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung