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Reise durch die Wildnis

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Ist es Nepotismus — also schlaue Begünstigung von Verwandten, wie sie ein Renaissancepapst übte, um sich Gefolgschaft dadurch zu sichern, daß er seine Neffen (nepotes) und andere Verwandte in hohe Ämter bugsierte —, ist es also im Grunde unerlaubt, daß ein Rezensent das Buch einer Kusine, das ihm wichtig zu sein scheint, zum Gegenstand seiner Betrachtungen macht? Auf die Gefahr hin, daß er in diesen Ruf kommt (ohne ein Renaissancepapst zu sein), möchte hierOas Buch der Marietheres Waldbott „Es steht ein Berg in Afrika“ angezeigt werden, das allein schon seiner Herkunft nach interessant ist.

Einer der bekannten Afrikaforscher im vorigen Jahrhundert, jetzt vorgestellt in der Exposition im Schloß Halbturn, war Eduard Graf Wickenburg, und seine Tochter Marietheres bewährte den kostspieligen Ehrgeiz, eine seiner Forschungsreisen nachzu-vollziehen, die ihn zu dem nachher nach ihm benannten Mount Wickenburg geführt hatte. Diesen, in wilder, einsamer und durch Räuberbanden unheimlicher

Landschaft, ungeachtet aller Gefahren, aufzusuchen und dieser Expedition eine Dokumentation zu widmen, war die Absicht der von der Bedeutung ihres Vaters erfüllten Tochter. Aber freilich nicht, indem sie, wie ihr Vater, sechzig Träger und ein Dutzend Kamele um den Preis eines Vermögens auftrieb, sondern einfach durch eine Reise mit zwei Geländewagen und weniger Begleitung, deren wichtigstes Mitglied der aus Neuseeland stammende Photograph Gay Rogers war, dem eine Reihe großartiger Bilder im Buch zu verdanken ist.

Die Reisebeschreibung, durchsetzt mit Zutaten aus dem Reisebericht ihres Vaters, liegt jetzt in einer Ausgabe des Ueberreuther Verlages vor und erweist sich als spannende Lektüre von großer Anschaulichkeit in der Darstellung der durchlebten ernsten Gefahren und der weniger ernsten Mißhelligkeiten, angefangen von amtlichen Hemmungen bis hin zu unterentwickelten hygienischen Umständen, zu denen etwa die als Reisebad offerierte braune Brühe in einer Hotelbadewanne zählte. Ein stiller Heroismus steht hinter-

den nüchtern und gewissermaßen familiär erzählten Erlebnissen, deren Gefährlichkeit nur am Rande, nebenbei, erwähnt wird — ganz so, wie Vater Wickenburg in seinem Buch beschreibt, daß ihn eine Löwin angefallen habe, die dem Pferd die Hinterhand aufriß und ihm also buchstäblich im Nacken saß. Er aber schreibt nur: „Ich nahm meine Büchse und erlegte sie.“

Daß eine Reise in den unkultivierten Süden Äthiopiens, an dessen Grenze nach Kenia der Mount Wickenburg, ein roter Granitkoloß von rund 2.000 Meter Höhe, liegt, keine Kleinigkeit ist, kann sich der Leser sicher selber ausmalen und der tapferen Autorin für die Einführung in eine ferne, fremde, großartige Landschaft danken. Er wird vielleicht auch einsehen, daß es dem Rezensenten, unbesehen des Nepotismus, ein Anliegen war, von dieser sowohl inhaltlich als auch literarisch namhaften Leistung kurz Kunde zu geben.

ES STEHT EIN BERG IN AFRIKA. Reisen auf den Spuren meines Vaters. Von Marietheres Waldbott. Ueberreuter Verlag, Wien 1988. 240 Seiten, öS 398,-. *

Nach der schrecklichen Verfolgung der christlichen Armenier durch die turkstämmigen Mohammedaner um die Jahrhundertwende soll nun in Aser-beidschan das gleiche geschehen? So lautete die unausgesprochene Frage. In der Gestik fand sie die ihr gemäße Form.

Zeigte die kurze Szene auch die Unlösbarkeit des Konfliktes? Kräfte der Kulturgeschichte sind durch die Mittel der Tagespolitik gewiß nicht lenkbar. Der Rektor aus Jerewan konnte den Parteisekretär, der ihm gar nicht zuhörte, nicht überzeugen. Er setzt dem Versuch ein Ende, indem er die Augengläser schön ordentlich in die Zigarrentasche steckte und das Manuskript mit einer fast pedantischen Bewegung wieder zu sich nahm — um endlich zurückzureisen nach Armenien, dort weiterhin das Feuer der alten Kultur zu hüten, ohne Uberschwang, ohne Hoffnung, aber innerlich bereit, bei der nächsten Gelegenheit — vielleicht in hundert Jahren — wieder in Erscheinung zu treten und mit leiser Stimme das Wort zu ergreifen.

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