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Sätze zu drei Situationen

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Der Brand• Ein Teil des alten Hauses ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Wer in die ehemaligen Wohnräume schaut, der kann vom Kellergewölbe zum Dachstuhl sehn. Wie Anfangsbuchstaben stehen die Pfeiler da, in ihrer

Bachsteinfülle vom Feuer verschont, wachsen sie mächtig durch Decke und Parkett, die Stockwerke scheinen ineinander gewachsen zu einem einzigen riesengroßen Raum, der sich nach jahrelanger Abhängigkeit seiner Sklavenrolle entledigt hat.

Das Haus ist ein Gutshaus und ist es wieder nicht.

Es hat Anschluß an die Natur gefunden, das sieht man an seiner lockeren Baugestalt, die die Bewegungen des Winds registriert und Vögelschwärme unter die Bögen zieht. Insgesamt ist es nicht mehr zum Wohnen gedacht, nur mehr zum Wissen um ein wohnliches Haus. Es ist wie es im Kopf seines Schöpfers gestanden haben mochte: geräumig, hell, im Winkel zum Fluß gestellt, genau gedrittelt durch Giebellinie und Tor.

Das Haus schwebt, trotz seiner schwelenden Schwere, trotz des Geröllhaufens der in der Wandnische liegt, auf den immer noch Schutt herunterfällt.

Sobald die heiße Asche erloschen sein wird, wird man mit dem Wiederaufbau beginnen, mit dem Beklopfen der Wände, dem Wegschaffen der Trümmer, der Zufuhr von Baumaterial. Nach einer Weile werden die Dachdek- ker kommen, Elektriker werden die Leitungen verlegen, Maurer die Wände mit weißem Kalk überziehn.

Die Formel des Hauses wird dann unsichtbar sein.

Wir Zugehörige werden Gott danken und sogleich unsre Zimmer mit Kleinkram füllen, mit jenen unmaßgeblichen Alltagstük-

ken, die uns den Grundriß der Ideen verdecken.

Synchron• Mühelos öffnen sich mehrere Möglichkeiten.

Wir müssen nicht schweigen, wir dürfen die Dinge beim Namen nennen, wir finden Hinweise auf begehbare Wege, es gibt genug Zeit.

Im milchigen Nachtweiß könnte man zeitunglesen. Die Lichter der großen Stadt sind alle an, aber die helle Nacht macht sie überflüssig, die Straßenbeleuchtung ist also zusätzlich da.

Zusätzlich fallen uns weitere Standpunkte ein.

Die Brückenbogen zum anderen Ufer sind doppelt, die Wörter in unseren Sätzen werden doppelt. Das ist die seltsamste Eigenschaft der Nacht, daß sich das Sichtbare mit dem Denkbaren deckt, daß sich die Wünsche im

Gegenstand verifizieren und die Gedanken fotografierbar sind.

Formen stimmen mit Findungen überein, Fernpläne werden gedeckt durch Ortsdiagramme, Hoffnungen lichten sich in Sternbildern ab, Anfänge spielen die Rolle von Satzanfängen.

Ein Geschäftshaus funkt seine Buchstaben in die Luft.

Kurz vor dem Verglimmen entsteht der Zusammenhang.

Innerhalb weniger Stunden sind die verschiedensten Zusammenhänge entstanden.

S-t-r-o-m f-ö-r-d-e-r-t L-e- b-e-n

Leben verlöscht zuletzt.

Tunnelbau. Der

Stollen wird von zwei Seiten aus vorgetrieben.

Der Doppelvortrieb, der der Vereinigung dient, verlangt Ge nauigkeit und richtiges Planen, dem falschen Vergleichswert folgt am Fuß das Mißlingen.

An zwei Seiten werden Schichten durch Sprengungen gelok- kert, Festes wird herausgebrochen, tragende Masse fortgeschafft. Für das Projekt sind Ingenieure am Werk, mit Tabellen, Meßgeräten und Proben gehn sie die Arbeit wissenschaftlich an.

Wenn das Vorhaben nicht gelingt, wenn die zwei Höhlungen sich um Handbreite verfehlen, wenn der eine vorgetriebene Gang beim Einmünden in den anderen vorgetriebenen Gang verschüttet wird, wenn sich herausstellt, daß die Gesteinsmassen nicht zueinander passen und anstelle der erhofften Verbindung je eine Sackgasse das Ergebnis ist, dann vergüten die Firmen der Ingenieure den Schaden denen, die den Tunnel in Auftrag gegeben haben.

Im Geschäft reagiert man schonungslos.

Liebende gehen beim Tunnelbau täuschender vor.

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