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Schönheit dominierte

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Ein „Philharmonisches“, übrigens das letzte dieser Saison, wie man es sich immer wünschte: Klassik, Romantik, und Gegenwart im Ausgleich, in bemerksenwerter Harmonie. Im Zentrum dieses Konzerts Zubin Mehtas makellos geschliffene Wiedergabe von Olivier Messiaens „Et exspecto resurrectionem mor-tuorum“, eines klanglich prunkvollen Werks voll donnernder Glok-keneinbrüche, massiver Blechbögen, abrupt einbrechender Schlagwerk-orkane. Zitate aus Paulus' Ko-rintherbriefen, aus den Psalmen und dem Johannes-Evangelium haben die fünf Sätze angeregt. Und dennoch: man kann diese Zitate, die vielfältigen literarischen und liturgischen Anregungen dieses Stücks getrost vergessen, denn Messiaens Musik zählt zu den starken, besonders profüierten Arbeiten, die dank ihrer eigenen Atmosphäre und Stimmungsdichte, aus ihrer mitreißenden Farbigkeit faszinieren. Metha erarbeitete das Werk mit den Philharmonikern präzise, sorgte für eine intensiv leuchtende Wiedergabe, der übrigens auch Schumanns „Erste“, die „Frühlings“-Symphonie, nicht an Klangschönheit nachstand.

Französisches mit den Wiener Symphonikern im Musikverein: Rußlands jugendliches Geiger-As Viktor Tretjakow spielte Saint-Saens „Introduction et Rondo capriccioso“ und Emest Chaussons „Poeme“ (1896) mit hinreißendem Temperament, souveräner Technik. Saint-Saens etwas leeres geigerisches Rankeniwerk etwa vermag er mit soviel Feuer zu füllen, daß man eigentlich nirgends den musikalischen Leerlauf zu spüren bekommt. Und bei Chaussons impressionistischer Spielerei setzt er derart virtuos Glanzliohter auf, daß die bescheidene Phantasie des Werks geschickt kaschiert wird. Aldo Ceccato dirigierte: schöne Details, große Bögen, klangliche Durchsichtigkeit. Vor allem bei Debussys „La mer“.

Man versteht es nicht ganz, daß Rafael Kubelik, einer der führenden Operndirigenten, einer der profiliertesten Interpreten der Werke Strauss', Mahlers und der slawischen Meister, in Wiens Konzertsälen fast nie anzutreffen ist. Denn daß das Wiener Publikum ihn über alle Maßen schätzt, zeigte es nach seinem enthusiastisch bejubelten Gastspiel mit seinem Bayrischen Runid^iunk-Symiphonieorchester im Musikverein.

Mahlers Werk steht Kubelik besonders nahe. Gemeinsame böhmische Heirnatbindungen geben ihm die Kraft, sich in viele Details bei Mahler besonders intensiv einzufühlen. Und gerade für die „Neunte“, eines der schwierigsten Werke des Komponisten, findet Kubelik ein Idealmaß der Deutung. Intellekt und Sentiment im Gleichgewicht. Kubelik unterspielt nicht, wie das etwa Geog Solu oder Pierre Boulez vorexerzierten, er überzeichnet auch nicht maßlos wie Leonard Bernstein, er will auch nicht jüdische Weltanschauung, Resignation fürs Publikum populär machen. Kubelik gestaltet den 75-Minuten-Koloß klanglich dicht, alber sehr durchsichtig, läßt Details wachsen, anschwellen, läßt die für Mahler charakteristische groteske Phantasie schweifen, Details wieder zerfallen — ein ständiger Prozeß von Blühen und Welken in dieser schillernden, raunenden abrupt aufbrechenden Kiangwelt.

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