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Separatistische Träume

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Wer die Redaktionsräume des Wochenmagazins „Mladina“ in Laibach betritt, dem springt ein Plakat in die Augen, eine Bilderfolge in vier Teilen. Da ist zunächst nichts als ein großer Sandhaufen. Aus ihm erwächst im zweiten Bild eine Natursteinmauer in Form von Hammer und Sichel, in deren Schatten zwei Teenager schmusen. Doch allmählich bilden sich in der Mauer Risse, Hammer und Sichel brökkein ab. Zuletzt bleibt wieder nichts, alles zerfällt zu einem großen Sandhaufen wie am Anfang.

Das Gefühl, Jahrzehnte vertan zu haben, einer Illusion nachgelaufen zu sein, ist in der Nordwestecke des krisengeschüttelten Jugoslawien weit verbreitet. In der neuesten Ausgabe von „Mladina“ wird dies in dem Essay „Die Geschichte als Tragödie“ explizit ausgedrückt.

Das föderative Jugoslawien stehe vor dem Scheideweg, die Geschichte per Verfassungsänderung so zu korrigieren, daß die einzelnen Teilrepubliken zu einer Konföderation umgewandelt werden und jeder Teil der Konföderation seine eigenen politischen Hoheitsrechte bekomme, oder daß das politische Leben mit Hilfe der Armee zentralgesteuert von Belgrad aus bestimmt werde.

Was nicht ausbleiben konnte, folgte flugs. Die Belgrader „Poli-tika“ nannte diese Gedankenspiele eine „offene konterrevolutionäre Plattform“, und die „Nedjelj-na Dalmacija“ urteüte, ohne „Mladina“ allerdings beim Namen zu nennen: „Vor dieser Art von Texten hätte selbst Goebbels Freude empfunden.“

Die Fronten sind unüberbrückbar. Die offizielle Sprache, die zwischen Laibach, Zagreb, Belgrad und Skopje gesprochen wird, hat das für einen Staat notwendige Maß an Verständigungsbereitschaft bei weitem überschritten.

Da redet der slowenische Parteichef Milan Kucan Klartext: „Ein Sozialismus, der - mit den Worten Churchills gesprochen -nichts gebracht hat als eine gerechtere Verteilung der Armut, kann uns nicht stimulieren...

Unsere Frage lautet: Ist die kommunistische Partei eine Partei der Ordnung öder der Entwicklung? Unsere Sorge kann es nicht sein, in der Partei eine einheitliche Auffassung über die Probleme zu haben, wichtiger ist es, daß wir die Probleme überhaupt wahrnehmen.“

Dagegen erklärt sein serbischer Genosse Slobodan Milosevic: „Die Ordnung der Partei ist gefährdet, ich rufe alle zu mehr Geschlossenheit auf, der Feind macht an allen Fronten mobil.“ Slowenien gelang es, dem dogmatischen Titoismus eine neue politische Kultur entgegenzustellen. Intellektuelle nehmen sich schon lange kein Blatt mehr vor den Mund. Und was noch wichtiger sei, so der Schriftsteller Veno Taufer: „Wir lassen uns von der Macht nicht korrumpieren.“

Als sich Taufer im letzten Jahr den Preis für mitteleuropäische Dichtung ausdachte, setzte er für viele Jugoslawen ein Signal mehr, das zur Verdächtigung führte, die Slowenen dächten sich aus der Föderation hinaus.

In der Tat, viele Slowenen fühlen sich ausgenützt und verheimlichen separatistische Träume nicht. Sätze wie diese hört man nicht selten: „Wir machen nur acht Prozent der Gesamtbevölkerung aus, erarbeiten aber 18 Prozent des Bruttosozialprodukts. An der horrenden Westverschuldung sind wir nur mit sieben Prozent beteiligt, dennoch geht es uns nicht besser als denen im Süden. Wir wollen Reformen.“

Diesen Unmut suchte der „Mla-dina“-Schreiber mit seinen Konföderationsvorschlägen zu besänftigen. Mit welchem Erfolg?

Am Dienstag dieser Woche stand der Chefredakteur des Wochenblattes wegen Verleumdung und Beleidigung der Armee vor Gericht. Er hatte geschrieben, daß der Besuch Verteidigungsministers Branko Mamula Anfang dieses Jahres in Äthiopien allein dazu gedient habe, Waffen gegen die Aufständischen in Eritrea zu verkaufen.

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