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Staberls Erfinder

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Als „Dreigestirn der dramatischen Volksmuse" hat man Josef Alois Gleich, Karl Meisl und Adolf Bäuerle bezeichnet, die vier Jahrzehnte lang das Wiener Theaterleben beherrschten. Heute wissen wir, daß es nicht die Autoren, sondern ihre vorzüglichen Interpreten waren, denen die ungeheure Volkstümlichkeit des Wiener Theaters zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts zu danken war. Trotzdem: Ein Theatermann wie Adolf Bäuerle (1786-1859) sollte nicht vergessen werden. Denn er war mehr als nur der Verfasser erfolgreicher bürgerlicher Unterhaltungsstücke, wie sie zu seiner Zeit Mode gewesen sind, er war ein all-round-Theatermensch, Herausgeber einer führenden und zugleich höchst volkstümlichen Theaterzeitschrift, vorübergehend Theatersekretär, Essayist und Lyriker, vor allem aber Schöpfer der köstlichen Theaterfigur des „Staberl".

Freiwillig hat er als blutjunger Mensch eine mögliche Beamtenlaufbahn aufgegeben, um sich ganz der Komödie widmen zu können. Als Zwanzigjähriger begründet er die „Illustrierte Theaterzeitung", die Jahrzehnte hindurch das Theaterleben Wiens wesentlich mitbestimmt und für die er erstklassige Mitarbeiter,

Schriftsteller, aber auch Graphiker gefunden hatte.

Seinen ersten großen Erfolg errang er mit dem „analogen Ge-mählde in drey Aufzügen", betitelt „Die Bürger in Wien", das vier Tage nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 im Leopoldstädter Theater zur Uraufführung kam: ein typisches Wiener Lokalstück mit zeitgemäßem patriotischem Hintergrund, eine private Familiengeschichte, in der bei aller karikierenden Komik dem bürgerlichen Stand Achtung gezollt und dem Kaiser Reverenz erwiesen wird. Seine theaterhistorische Bedeutung verdankt dieses Werk aber der Erfindung des Parapluie-machers Staberl, der hier zum ersten Mal als Hauptrolle auftritt, bei der Uraufführung dargestellt von Bäuerles Entdeckung, dem genialen Komödianten Ignaz Schuster. Durch ihn wurde Staberl, diese letzte Inkarnation des wienerischen Hanswurst, aus einem komischen Typus zu einem wirklichen Menschen. Er karikierte den Wiener, ohne ihn zu beleidigen.

Von nun an waren es nicht mehr die derben Spaße, die man damals Lazzi nannte, die das Publikum zum Lachen brachten, sondern die komischen Charaktere. Bäuerle schrieb noch zahlreiche weitere Possen, in denen Staberl in vielerlei Gestalt immer wieder auftauchte. Von seinen achtzig Stücken waren außer dem erwähnten „Der Fiaker als Marquis", „Aline oder Wien in einem anderen Welttheile" sowie die Parodien „Maria Stuttgartin", „Kabalen und Lieben" und „Tankredl" die erfolgreichsten.

Seine Werke waren bei aller Satire, die darin enthalten ist, immer die eines getreuen Staatsbürgers, eines österreichischen Patrioten zur Zeit der Befreiungskriege und die eines die Revolution völlig ignorierenden Bürgers im Jahre 1848. Auch in seiner Zeitung schrieb er nur über Theater, nie über Politik. Bei aller Bonhomie und Menschenfreundlichkeit, die ihn auch in seinen Stücken sehr wesentlich von Gleich und Meisl unterscheiden, blieb ihm der Vorwurf der Servi-lität den Oberen gegenüber nicht erspart.

Dagegen spricht allerdings sein mutiger schriftstellerischer Einsatz für die Tiroler und spanischen Partisanen im Jahre 1809, wofür er von der französischen Besatzungsmacht auf die schwarze Liste gesetzt wurde. Nie entkräftet werden konnte dagegen das Gerücht, er wäre als Kritiker bestechlich gewesen. Eduard von Bauernfeld hat den Zeitungsmann Bäuerle in seinem Lustspiel „Der literarische Salon" persifliert.

Immer mehr und mehr verschuldet, verließ Bäuerle, als ihm der Boden zu heiß wurde, seine Heimatstadt Wien. Mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Katharina Ennöckl, flüchtete er als alter Mann nach Basel, wo er 1859 als Dreiundsiebzigj ähriger starb. „Es standen nur Fremdlinge an seinem Grab, und doch blieb kein Auge trocken", berichtete die „Wiener Zeitung". Seine Stadt hatte ihn nicht vergessen.

Wenn sein Name auch in gängigen Literaturlexika nicht zu finden ist — seine Bedeutung für die Geschichte des Theaters ist unumstritten. In einer aktualisierenden Bearbeitung von Friedrich Links wurde 1950 in der Wiener Scala „Die falsche Catalani" aufgeführt, in einer Nachdichtung Kurt Nachmanns kam 1959 am Volkstheater „Der Fiaker als Marquis" heraus; erst vor wenigen Jahren spielte die Tribüne Oskar Willners Bearbeitung von „Die Bürger in Wien"; und das Singspiel „Kabalen und Lieben" hatte 1983 in der Wiener Kammeroper neuerlich Premiere.

Alle diese Inszenierungen waren sehr erfolgreich, was allerdings noch keine Bäuerle-Re-naissance bedeutet. Gewiß wird er immer wieder schon aus lokalhistorischem Interesse gespielt werden, aber so wie der Schauspieler Ferdinand Raimund seinen Kollegen Ignaz Schuster als ersten Komiker von der Bühne verdrängt hat, so wurde vom Dichter Raimund der Autor Bäuerle in den Schatten gestellt.

Seine theatergeschichtliche Bedeutung zeigt zur Zeit eine hübsche Ausstellung im Wiener Rathaus. Am volkstümlichsten aber blieb er als Verfasser von Liedtexten. Doch wer weiß schon, daß „Nur a Kaiserstadt, nur ein Wien", mehr noch, daß „Kommt ein Vogerl geflogen" Dichtungen von Adolf Bäuerle sind?

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