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Statt Häfenurlaub: Häfenschule

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Eine der Hauptursachen für Rückfälligkeit und mangelnde Integration von Strafgefangenen sind sicherlich fehlende Berufsausbildung einerseits wie auch das mit Vorurteilen behaftete Bewußtsein der Bevölkerung andererseits. Daher will das Bundesministerium für Justiz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dem Häftling nach seiner Entlassung den „Aufbau, einer bürgerlichen Existenz“ erleichtern und ermöglichen. Dementsprechend hat das Ministerium in Zusammenarbeit mit den Instituten für Berufsbildungsforschung und Krininal-soziologie einen umfassenden Berufs-bildungs- bzw. Umschulungsplan für Strafgefangene ausgearbeitet, der jetzt

'stufenweise in die Praxis umgesetzt werden soll.

Dieser Plan wurde unter dem Vorsitz von Bundesminster Christian Broda anläßlich einer Enquete zum Thema „Berufsausbüdung und Berufsfortbildung im Strafvollzug“ einem ausgewählten Kreis von Experten vorgestellt. Die öffentliche Präsentation des Planes soll behutsam und schrittweise vor sich gehen, um in der Bevölkerung allmählich das Verständnis für die Probleme der Strafgefangenen zu wecken und weitergehend - so hofft man - mittätige Hilfe aus der Bevölkerung zu erhalten.

Geht man davon aus, daß eine soziale Gesellschaft Mitverantwortung trägt für jene, die - oft aus Gründen seelischer Verwahrlosung und Not - ihre Gesetze übertreten, geht man weiter davon aus, daß es zum Teil in der Hand der Gesellschaft selbst liegt, der inneren Verwahrlosung vorzubeugen und die Wiederaufnahme der Gestrauchelten vorzubereiten und erkennt man darüber hinaus den Strafvollzug als Chance für den angestrebten Resozia-lisierungsprozeß, so sind Schulung und Bildung der Häftlinge wichtige Schritte auf diesem Weg.

Das Projekt sieht für vornehmlich arbeitsmarktgerechte Branchen -etwa jede Art von Handwerks-, aber auch kaufmännischen Berufen - die Installierung von Ausbildungskursen mit Abschlußzeugnis vor. Da eine hohe Anzahl von Häftlingen den Wunsch nach Berufswechsel äußert, werden Maßnahmen zur beruflichen Umschulung, aber auch zur Erlangung einer beruflichen Grundausbildung, zur Wissenserneuerung und Nachschulung sowie zur Berufsausbildung Jugendlicher angestrebt. Neben den bereits bestehenden Modellen der Fortbildungskurse und Fernlehrgänge für Strafgefangene denkt man konkret an eine Facharbeiterkurzausbildung mit Lehrabschlußprüfung. Diese Kurzausbildung wird in Form einer Intensivschulung innerhalb von 10 Monaten absolviert, wobei die Abschlußprüfung tunlichst noch während der Haftzeit abgelegt werden soll, da unmittelbar nach Entlassung die verschiedensten Belastungen auf den Häftling zukommen und damit der Erfolg einer solchen Prüfung gefährdet wäre.

Voraussetzung für das Gelingen des Resozialisierungsprogrammes ist die verstärkte Schulung von Sozialarbeitern sowie Justizwachebeamten zu Berufsausbildnern. Handelt es sich bei den Strafgefangenen doch-im Regelfall um Personen, „deren Verhältnis zu regelmäßiger Arbeit sowohl lebensgeschichtlich wie sozial gebrochen ist“ Permanente soziale und psychologische Betreuung in Form des Gesprächs, der Hilfestellung wird notwendig sein; unerläßlich vor allem die Betreuung während einer längeren Zeitspanne nach der Haftentlassung. Die Aufgaben des Sozialarbeiters - zugleich Psychologe und Berufsberater - sind mannigfaltig: Motivation für Beginn und Fortsetzung der Ausbildung, Konakt mit Familie und Umwelt, Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes, Weckung und Stärkung aller zur Eingliederung in den Betrieb notwendigen Eigenschaften wie etwa Verantwortungsbewußtsein, Leistungs- und Qualitätsstreben, Gewissenhaftigkeit und Verläßlichkeit, aber auch Kommunikationsfähigkeit und korrektes Verhältnis zum Eigentum. Wahrlich, keine leichte Aufgabe, die unendlich viel Geduld erfordert.

In der ersten Phase beabsichtigt das Bundesministerium für Justiz, im Frühherbst dieses Jahres mit der Schulung der Justizwachebeamten zu Berufsausbüdnern zu beginnen. Auch in diesem Bereich verspricht man sich durch die Schaffung einer neuen Kommunikationsebene eine weitere Verbesserung der Beziehung zwischen Beamten und Häftlingen.

Auch die gesellschaftliche Aufwertung der ausbildenden Beamten wird hiezu nicht unwesentlich beitragen. Anfang Jänner des kommenden Jahres denkt man an die Errichtung der ersten Werkstätten. 1979/80 soll mit der spezifischen Ausbildung der Sozialarbeiter begonnen werden.

Unerläßlich für die erfolgreiche Durchführung der Berufsausbildung ist deren Kostenfreiheit. Die zusätzlich erforderlichen Mittel hofft man, aus der Arbeitsmarktförderung flüssig zu machen. Voraussetzung hiefür ist allerdings eine entsprechende öffentliche Bewußtseinsbildung.

Alles in allem wurde das präsentierte Resozialisierungsmodell auch von der Oppositionspartei außerordentlich begrüßt und parlamentarische Unterstützung zugesichert. Der ÖVP-Abgeordnete Fritz König sieht in der Schaffung von Leistungsmotivation einen wesentlichen Aspekt für das Gelingen des Vorhabens, Gleiches gelte für die gesellschaftliche Anerkennung jener Betriebe, in denen Häftlinge Aufnahme finden. Der Anreiz für die jeweüigen Betriebsleitungen sei in deren freiwilligem Sozialengagement zu sehen. Auch Bund, Länder und Gemeinden müßten wohl ein Beispiel geben und entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

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