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Umweg und Erleuchtung

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Der bei Styria erschienene Roman des deutsch schreibenden Belgiers Freddy Derwahl, „Der Mittagsdämon“, wurde in der belgischen Botschaft in Wien präsentiert. Bei diesem Anlaß wurde bekanntgegeben, daß Freddy Derwahl für dieses Buch den Literaturpreis der deutschsprachigen Gemeinschaft in Beigien erhalten wird. Der amerikanische Verlag „Word“ meldete sein Interesse an einer Ubersetzung an. An einer französischen Ubersetzung wird derzeit an der Universität Lüttich gearbeitet.

„Der Mittagsdämon“ ist der erste Roman des Autors, der als freier Journalist auch für das belgische Fernsehen arbeitet. Der im strengen Sinn religiöse Inhalt des Buches überrascht durch sein für unsere Zeit ungewöhnliches Be-kennertum und macht betroffen durch seine radikale Aufrichtigkeit. „Es gibt Ereignisse im Leben, die man nur einmal erträgt“, sagt

Freddy Derwahl. Von diesen Ereignissen handelt der Roman.

Ein junger Mann möchte ins Kloster gehen, wird aber gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen. Erst in der Mitte seines Lebens, in dem er zu keiner Balance gefunden und Leid und Schuld auf sich geladen hat, bringt er die Kraft des Entschlusses auf, in einen strengen Orden einzutreten. Er bittet um Aufnahme in ein amerikanisches Kloster. Aber das Kloster ist weder Zuflucht für Lebensängstliche noch für Gescheiterte. Ihm wird nicht Heimatrecht, sondern nur Gastrecht gewährt, um mit sich ins reine zu kommen und sich von der Todsünde der Verzweiflung zu befreien.

Das Schreiben des Romans ist für den Autor selbst ein Mittel der Befreiung, die nicht hätte gelingen können, wäre nicht auch der Roman gelungen, der nicht Erfindung ist, sondern Erlebnis. Freddy Derwahl, der sich in seiner Jugend stark zum Klosterleben hingezogen fühlte, ist wie der Held seines Buches kein Berufener, aber ein Gerufener. Immer wieder werden ihm entscheidende religiöse Erlebnisse zuteil. Eines davon ist die Begegnung mit Roger Schütz in Taize. Ein anderes sein Aufenthalt auf dem Berg Athos. Als Freddy Derwahl durch eine Lebenskrise in ausweglose Enge getrieben ist, entschließt er sich mit Zustimmung seiner Frau, Famüie, Beruf, Heimat und alles Vertraute für immer zu verlassen, um in Amerika in einem Kloster Aufnahme zu finden. Sein zweijähriger Sohn erfaßt die Bedeutung dieses Abschieds und klammert sich verzweifelt an ihn.

Im harten Licht der amerikanischen Landschaft entsteht während der Ungewißheit des Wartens, ob man ihn aufnehmen werde, „Der Mittagsdämon“. Zwei Monate später kehrt Freddy Derwahl mit dem fertigen Manuskript in seine Heimat zurück.

Der 1946 in Eupen in Belgien Geborene wuchs zweisprachig auf. Das öffnete ihm schon in der Kindheit zwei geistige Welten. Die französische Literatur der neokatholischen Bewegung war für ihn von großer Bedeutung. Charles Peguy, Georges Berna-nos, Paul Claudel beeindruckten ihn tief. Bei ihnen fand er eine Form des religiösen Romanes vor, für die es im deutschen Sprachraum wenig Vergleichbares gibt. Später, während seines Aufenthaltes im amerikanischen Kloster, setzte er sich intensiv mit Reinhold Schneider auseinander und näherte sich auf diesem Weg dem Kulturkreis der Habsburgmonarchie.

Es mag auf den ersten Blick erstaunen, daß der Roman eines Belgiers gerade bei einem österreichischen Verlag Verständnis findet. Aber der in dem Buch dargestellte Katholizismus, die sinnliche Lebensfülle, die Emotionalität, die Todesbesessenheit und die mystische, nicht rationale Religiosität stehen auch unserem Denken und Fühlen und unserer Tradition nahe. Es gibt mehr, was Belgien und Österreich aneinander interessieren und bewundern kann als die Schätze des Goldenen Vlieses.

Heute lebt Freddy Derwahl mit seiner Frau und seinen drei Kindern auf einem Bauernhof in der Nähe von Eupen. Von Zeit zu Zeit zieht er sich in ein Ardennenklo-ster zurück.

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