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Verkürzung in vielerlei Gestalt

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Ich bin Katholikin und versuche, eine leidlich gehorsame Tochter der Una Sancta zu sein. Wenn ich mich aber frage, was mich so stark an Religion und Kirche gebunden hat, so muß ich mir zugeben, daß ich sie beide von Kindheit an — damals selbstverständlich ganz unbewußt — auch als ästhetisches System erlebt und als solches verinnerlicht habe.

Es geht und ging mir dabei nie um Pomp, um Weihrauch und goldene Troddeln an Meßgewändern. Anderes hat mich fasziniert; vor allem die Bibel als Offenbarung und zugleich überwältigend dichterischer Text; dann der tiefgründige Kosmos der Symbole, der Gleichnisse, der gleichnishaften liturgischen Handlungen, auch das weite Feld der Heüigen-legenden; vor allem aber die Kunst, sofern sie christlich war und immer noch christlich zu sein versucht, als räum- und bildgewordene Gestalt der Kirche; nicht zuletzt die Musik von der Grego-rianik bis zu Bruckner. Da sind Farbigkeit, Tiefgründigkeit, Ge-stalthaftigkeit: ein ergreifendes Ganzes, von dem man wohl sagen darf: Numquam exhauritur. Hier ist etwas, was nicht auszuschöpfen ist.

Nun aber hat die Kirche seit dem Konzü viel von dieser Gestalthaftigkeit abgelegt. Sie hat ihre Offenbarungstexte (auch sie!) einer pädagogisch gemeinten Rationalisierung unterworfen. Sie hat ihre Liturgien vielfach reduziert. Sie hat jedes ihrer Symbole darauf abgeklopft, ob es von der verweltlichten Gesellschaft wohl auch verstanden und akzeptiert werden könne. Sie hat manchmal gar zu ängstlich auf Lob und Gemurre der Gesellschaft gehört, bis sie schließlich darauf gekommenist, daß sie daran keinen Maßstab nehmen darf, ohne sich selbst aufzugeben. Sie hat ihren Kaplänen gestattet, den Ritus der Wandlung mit den Worten einzuleiten: O Gott, wir danken dir für diesen' wunderbaren Menschen Jesus Christus! — als ob jedem halbwegs aufmerksamen Zuhörer nicht gleich ein halbes Dutzend anderer „wunderbarer Menschen“ einfallen müßte.

Eine schmerzliche Amputation ist mir geblieben, daß Johannes I aus dem täglichen Meßtext eliminiert wurde. Warum? - Fürchtete man, das Gottesvolk mit diesem herrlichen Evangelium theologisch zu überfrachten?

Nach der Kommunion folgt in fast unanständiger Eile der Schlußsegen, als sollte der Kommunikant davon abgehalten werden; 'sich auf die Gegenwart des Gottes in ihm selbst einzulassen.

Verkürzung also in vielerlei Gestalt.

Ich setze voraus, daß diese Änderungen und nachkonziliaren Maßnahmen mit braven Argumenten und nach wohlmeinenden Überlegungen in die Wege geleitet worden sind. Dennoch tragen sie die Gefahr in sich, eine emotionale Verarmung herbeizuführen.

Das Konzil fand in einer Epoche statt, die sich auf breiter Front rationalistisch präsentiert, um nicht zu sagen, positivistisch kostümiert hat. Es ist begreiflich, daß dieser allgemeine Zeitstil auch auf die Kirche einwirkte, als sie daran ging, sich selbst einer Nachprüfung zu unterwerfen.

In ihren Grundsätzen ist sie sich gewiß treu geblieben. In ihren Erscheinungsformen aber (mithin auch als ästhetisches System) hat sie der Versuchung einer gewissen Mimikry nicht widerstehen können. Ich wünschte, sie fände den Mut, ihre eigene Tiefe von neuem sichtbar zu machen. Numquam exhauritur: ihre Tiefe kann, sofern sie auf Gottes Wahrheit zur rückweist, nicht so leicht ausgeschöpft werden.

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