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Vom Adel

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Seit jeher entwickelte sich die Menschheit durch Züchtung einer Elite, ähnlich der Zucht des Vollbluts oder des Wiens Stolz bildenden Lipizzaners. Von den in der Ilias erwähnten Lykiern heißt es, sie besäßen eine erlesene Kriegerkaste, welche, vom Volk neidlos verehrt, die beste Kost und andere Vorteile genösse, weil sie in der Schlacht in der vordersten Reihe und mit besonderer Tapferkeit kämpfe. Dem Adel, der sich nach Aristoteles durch „Vortrefflichkeit und ererbten Reichtum“ über das Volk erhebt, verdankte Rom seine Größe, wo die Senatorenfamilien als sichtbares Zeichen ihres Standes die tunica laticlava trugen. Aristoteles wies darauf hin, daß die Staaten, deren Stärke in der Reiterei besteht, durch die Oligarchie gekennzeichnet sind. Seit dem frühen Mittelalter beruhte die europäische Herrschafts- und Gesellschaftsordnung auf dem Lehenswesen. Der unterste Lehensträger erhob sich als Ritter aufs Pferd. Mit dem Ende des Zeitalters des Pferdes endete auch das des Adels.

Die Länder des Hauses Österreich verdankten ihre Entwicklung neben Hof und Kirche dem Adel. Im Zeitalter der Reformation erreichte er im Zeichen der ständischen Oligarchie die Höhe seiner Macht. Nach der Schlacht am Weißen Berge (8. November 1620) bildete er zwar die Stütze der Monarchie, aber bekämpfte zugleich als Landstände den Zentralismus des Hofes. Die fortschreitende Demokratisierung untergrub den politischen Einfluß des Adels. Immer stärker wurde der Druck der Cheirokratie, der Macht der Fäuste, gegen die Besitzenden. Jakob I. von England und Schottland schrieb vor fast 400 Jahren im Ba- silikon Dorion: „Beraube aus Mitleid mit den Armen nicht die Reichen.“ Heute wie seit jeher ist die Ausplünderung der Besitzenden und die Unterdrückung der Privilegierten das Ziel der sozialen Gerechtigkeit.

Jahrhundertelange Zuchtwahl hat im Adel einen veredelten Typus hervorgebracht, den man auch bei alten Patriziergeschlechtern und unter den Bauern findet, die sich vom Adel grundsätzlich durch das Ausmaß der Güter unterscheiden. Im Stadtvolk taucht kaum je die maximilianische Adlernase auf, die einem in Tirol noch oft begegnet. Der spanische Dichter des 16. Jahrhunderts, Gon- gora, preist eine junge Dame ob ihrer durch Jahrhunderte gezüchteten Schönheit: muchos siglos de her- mosura en pocos anos de edad.

Im Adel bildete sich jener Ethos aus, den Rabelais in der Inschrift der Abbaye Thėlėme findet: „Mach, was du magst, denn freie Menschen, wohlgeboren, wohlgebildet, die sich in anständigen Kreisen bewegen, besitzen von Natur aus einen Trieb, der sie zu guten Taten drängt und von Lastern abhält. Das nennen sie Ehre.“ Im „Wilhelm Meister“ bemerkt Goethe, daß vollkommene Entfaltung der Persönlichkeit nur in den Lebensformen der Aristokratie möglich sei, und daß dreimal glücklich die zu nennen, die vornehm von Geburt. Der Zug der Zeit drängt „zur Oberfläche eigener Gemeinheit, bis alle gleich, weil alles niedrig“, wie der größte österreichische Dichter erkannt hat.

Der alte Adel bildete die erste, der junge Briefadel die zweite Gesellschaft. Der Offizieren und Beamten verliehene Verdienstadel und die Nobilitierung von Großindustriellen — sie mußten in ihr Wappen ein Zahnrad aufnehmen — unterscheidet sich vom eigentlichen Adel, dessen Wesen im Alter der Familie und der Tradition liegt. Ein verarmter französischer Aristokrat, der mit den Bourbonen aus der Emigration zurückkehrte, lieh sich von Rothschild einige Juwelen aus, damit seine Gattin, die einen Ball besuchen mußte, nicht schmucklos erscheine. Rothschild bat, auf den alten Familienschmuck achtzugeben. Der Aristokrat schrieb ihm darauf: „Ich wußte nicht, daß Sie eine Familie haben, ich wußte nur, daß Sie Juwelen besitzen.“ Auch der verarmte Adel besitzt noch die Familie, welche in liberalem Konservatismus, weltmännischem Blick und dem Anstand der Umgangsformen die Tradition fortsetzt, wie es bei Stendhal heißt (La chartreuse de Parme): „On n’ėchape pas ä sa famille.“

Die Abschaffung des Adels in Österreich wirft ein eigenartiges Licht auf die Herren Gesetzgeber, die ihn abgeschafft haben. Der Abgeordnete Leuthner bezeichnete die Adelsfamilien als „wahre Schand- säulen in der Geschichte der Ausbeutung der Menschheit“. Er sprach aus der Seele des städtischen Niedervolks, während auf dem Land die alte Anhänglichkeit an den Schloßherrn fortlebt.

Der Tiroler, Steirische und sonstige Adel der Alpenländer besaß nicht die Bedeutung, die dem adeligen Großgrundbesitz in Böhmen zukam. Ihm verdanken nicht nur Böhmen und Mähren ihre materielle und geistige Kultur, sondern auch Wien wertvolle Gaben, von denen die Barockpalais noch sichtbar sind. In der Musikgeschichte nimmt der musikliebende und fördernde böhmische Adel einen ersten Platz ein. Die von französischen Köchen auf böhmischen Schlössern entwickelte böhmische Küche hatte ihre Ausstrahlung nach Wien, dessen einstige kulinarische Kultur mit der letzten böhmischen Köchin verschwunden ist.

Vor kurzem ist im Verlag Kremayr & Scheriau, Wien, ein Buch erschienen, „Adel in Österreich“, herausgegeben von Heinz Siegert. Es beschäftigt sich mit den „Problemen, Fakten und Analysen“ des in der Republik Österreich lebenden Adels, des einheimischen und jenes, der, seines Besitzes beraubt, hier Zuflucht gefunden hat. An dem Buch hat eine Reihe von Autoren mitgearbeitet. Es sei besonders auf die soziologische Studie Westphalens hingewiesen. Wan- druszka entdeckt im „Rosenkavalier“ die gelungene Unterscheidung der Gesellschaftskreise innerhalb des Adels der Maria-Theresia-Zeit. Be merkenswert ist auch sein Hinweis darauf, daß die Abschaffung des Adels in Österreich für den historischen Adel nur eine kleine Schikane bedeutete. „Für den pensionierten Hofrat und die Oberstenwitwe, die ihre bescheidenen Ersparnisse auf dem Altar des Vaterlandes geopfert hatten, bedeutete das Adelsgesetz noch den Entzug des durch Dienst und Leistung wohlerworbenen Stückchens Sozialprestiges. Vom Standpunkt der neuen Ordnung war es eine Dummheit, daß man es einer in den Traditionen von Dienst und Leistung aufgewachsenen Elite so schwer machte, die neue Ordnung nicht als kleinlich-gehässigen Gegner anzusprechen.“

Heute ist der altösterreichische Adel, der sich in der freien Welt bewegt, in der bürgerlichen Gesellschaft aufgegangen, ohne seine Eigenart zu verlieren. Wir finden seine Vertreter im Dienste der Wissenschaft, in leitenden Stellungen ln der Industrie und nicht zuletzt an verantwortungsvollen Posten lm Staatsdienst. Die Bewahrung seiner Erbeigenschaften gebietet, Wert auf die Standesmäßigkeit neuer Ehen zu legen, wie es bereits die Römer in der Lex Julia de maritandis ordini- bus vorsahen. Noch steht der Adel bei manchen Schichten der Bevölkerung im Verruf, aber noch immer denken die Töchter des Volks wie Nestroy: „Ich behaupte, es ist viel mehr Genuß, von einem Baron getrennt, als mit einem Schreiber vereinigt zu sein.“

ADEL IN ÖSTERREICH. Probleme, Fakten, Analysen. Herausgeber Heinz Siegert. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien. 400 Seiten. 24 Abb.

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