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Von Dimitrow zu Dimitrow

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Im September 1989 fuhr ich mit meinem Kollegen Rudolf Weiler, dem Sozialethiker der katholisch-theologischen Fakultät und einer kleinen österreichischen Delegation auf Einladung des Institutes für Politikwissenschaft, das damals noch unter den Fittichen des Zentralkomitees der Kommunstischen Partei Bulgariens stand, nach Bulgarien, um in Sofia, Varna und Plovdiv Fragen von gemeinsamem Interesse zu besprechen. Damals war die Veränderung, die die Länder des „realen Sozialismus" erfaßte, schon spürbar, allerdings war es noch nicht vorhersehbar, wie schnell das kommunistische System zusammenbrechen würde.

Trotz dieses Zusammenbruches hat die alte Ordnung in Bulgarien mehr von ihrer Substanz bewahrt als in anderen kommunistischen Ländern, wozu nicht zuletzt der Umstand beitrug, daß der antirussische Affekt, der die kommunistischen Machthaber in den anderen Ostblockstaaten hinwegfegte, in Bulgarien nicht nur fehlt, sondern durch eine Gegenkraft, die traditionelle Freundschaft mit den Russen, den Befreiern vom Türkenjoch, nicht aufkommen konnte.

Doch obwohl die Emanzipation von den alten politischen Formen und Inhalten langsamer vor sich gegangen ist und weitergeht als in vergleichbaren Ländern, sind die Symptome der Veränderung bei einem neuerlichen Besuch in der vergangenen Woche doch unübersehbar.

Am Vorabend des Festes des heiligen Nikolaus, der in Bulgarien besondere Verehrung genießt, sahen wir den amtierenden bulgarischen Ministerpräsidenten Filip Dimitrow in der Kathedrale, wie er gerade eine Kerze anzündete und sich unter das gläubige Volk mischte.

Während der gegenwärtige Dimitrow also ein religiöses Bekenntnis ablegt oder jedenfalls durch eine symbolische Geste der Meinung Ausdruck verleiht, daß nur ein Wunder, ein Gnadenakt von oben seinem Land die Rettung bringen kann, ist ein Namensvetter aus früheren Tagen, der kommunstische Partei-und Regierungschef Georgi Dimitrow, der schon 1944 die totale Sowjetisierung Bulgariens einleitete, wahrscheinlich aber selbst ein Opfer Stalins wurde, längst aus seinem nahe der Kathedrale gelegenen Mausoleum entfernt.

Dieser Bau ist heute das Sinnbild einer vergangenen Ära, mit aggressiven und obszönen Sprüchen besprüht, ein Zeichen der Verachtung, die man dem einst so Gefeierten und dem von ihm etablierten System entgegenbringt.

Freilich ist diese geistige Wandlung noch nicht genügend tief fundiert. Und sie allein löst auch keineswegs die großen ökonomischen und sozialen Probleme des Landes. Immerhin aber ist es ein Hoffnungszeichen, daß die falschen Götter gestürzt sind. Und daß die Menschen nun wieder frei sind, sich dem wahren Gott und unvergänglichen christlichen Werten zuzuwenden.

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