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Wandel in den Prioritäten

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Veränderung der Verhältnisse, sagt man gern, sei nicht Sache des Evangeliums und nicht Aufgabe der Kirche, wohl die Umkehr der Herzen. Das ist wahr und falsch zugleich. Die Umwendung der Herzen ist in der Tat die Schwelle zur messianischen Zukunft Sie ist die radikalste und anspruchsvollste Form der Umwendung und des Umsturzes, und dies schon deswegen, weil die Umkehr der Verhältnisse nie all das ändert, was eigentlich geändert werden müßte.

Diese Umkehr der Herzen ist darum aber gerade kein unsichtbarer oder, wie man gerne sagt, „rein innerlicher“ Vorgang. Er geht, wenn wir den Zeugnissen der Evangelien trauen, wie ein Ruck durch die Menschen, er greift tief ein in ihre Lebensorientierung, in ihre etablierte Bedürfniswelt und so schließlich auch in die durch sie mitbestimmten Verhältnisse; er verletzt und unterbricht die unmittelbar auf uns selbst gerichteten Interessen und zielt auf eine Revision unserer vertrauten Praxis. Kurzum: Er schickt auf die Wege der Nachfolge.

Wie aber steht es mit dieser Umkehr der Herzen bei uns selbst, in unserer Kirche? Gelingt sie? Wird sie immer wieder versucht? Ich möchte die Befürchtung ausdrücken: Diese Umkehr der Herzen findet nicht statt — zumindest nicht in der Form, in der wir sie als Christen vor uns selbst und vor anderen öffentlich bekennen. Die Krise (oder die Krankheit) unseres kirchlichen Lebens beruht nicht nur darin, daß diese Umkehr nicht oder zu wenig stattfindet, sondern daß wir das Ausbleiben der Umkehr unserer Herzen unter dem Schein eines nur geglaubten Glaubens auch noch vor uns selbst zu verbergen suchen.

Ich gehe von der Vermutung aus, daß die Kirche an Strahlkraft nicht deswegen eingebüßt hat, weil sie zu viel fordert, sondern weil sie eigent-

„Bleiben wir unter dem Deckmantel der geglaubten Umkehr die Alten? lieh zu wenig zumutet und ihre Forderungen zu wenig deutlich unter den Prioritäten des Evangeliums selbst vorträgt. Wenn sie evangelisch „radikaler“ wäre, brauchte sie vermutlich gesetzlich nicht so „rigoros“ zu sein.

Rigorosität stammt eher aus Angst, Radikalität aus Freiheit, aus der Freiheit des Rufes Christi. Wo die kirchliche Verkündigung und Pastoral unter den Prioritäten des Evangeliums handelt und das Ideal des Tausches in seiner schleichenden Ausweitung auf die seelischen Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens mit der umfassenden Strategie der Liebe angreift und die Verdingli-chung der zwischenmenschlichen Beziehungen, ihre zunehmende Austauschbarkeit und Flüchtigkeit überwindet, ist sie radikal, ohne unbedingt im gesetzlichen Sinn rigoros sein zu müssen:

Sie könnte dann auch solche, die in ihrer Ehe gescheitert sind und dafür um Vergebung bitten, zu den Sakramenten zulassen, ohne daß sie einen Dammbruch befürchten müßte. Die Kirche braucht dann auch nicht den Pflichtzölibat zur Bemäntelung einer entradikalisierten Christenheit. Es bestünde gar nicht die Gefahr, daß die apokalyptische Tugend der Ehelosigkeit erlöschen würde; sie würde aus der Radikalität der Nachfolge immer neu entstehen.

Wie aber kann es zu einem Wandel in den Prioritäten kommen? Wie läßt sich eine Revision, eine Umkehr erreichen, die auch an die seelische Verfassung unseres bürgerlichen Lebens rührt? Ich selbst sehe hier nur einen Weg: den Weg über eine gesamtkirchliche und gesamtgesellschaftliche, geradezu weltpolitische Umorientierung.

Wie aber, so wird man fragen, soll dies alles möglich sein, wo soll die Umkehr der Herzen überhaupt ansetzen? Wo die Veränderung der Prioritäten und der neuen Perspektiven beginnen? Das ist gewiß nur in langen Umbildungsprozessen möglich.

Ich glaube durchaus, daß es genug Reserven an Enthusiasmus und Umkehrkraft auch in unserer Kirche gäbe. Ich erlaube mir dabei freüich die Frage, ob diese Kräfte richtig angerufen und „gebunden“ sind. Können z. B. unsere kirchlichen Verbände, die mehr oder minder alle nach sozialen Mustern vergangener Zeit organisiert sind, die in sie ohne Zweifel investierten geistlichen und sozialen Energien entsprechend freisetzen für die geschilderte Herausforderung?

Umgekehrt und kritischer gefragt: Warum sind kirchlicherseits nur Verbände nach diesem Muster erwünscht und werden etwa die in den sechziger Jahren neu konzipierten Jugendverbände von den Bischöfen so argwöhnisch behandelt?

Weiter: Könnten unsere großen kirchlichen Hüfswerke, über die wir mehr oder minder ausschließlich unsere Solidarität mit den armen Kirchen praktizieren, nicht weit mehr tun als Geld sammeln? Müßten sie nicht, gerade im Bewußtsein, daß Geld keineswegs unschuldig ist, energisch eingreifen in die Bewußtseinsbildung nicht nur etwa der Empfängerländer, sondern gerade der Gebenden? Müßten hier nicht viel mehr die politischen und sozialen Dimensionen der Verantwortung deutlich werden? Insofern glaube ich, daß diese wichtigen Hilfswerke, als Werke eines umfassenden solidarischen Prozesses, erst in den Anfängen stecken.

Es gibt durchaus Anzeichen für Lern- und Umorientierungsbereit-schaft unter den Menschen. In den letzten Jahren hat sich an der christlichen Basis ein wenn auch noch diffuses Mißtrauen gegen die zerstörerischen Folgen des Kapitalismus herausgebildet, ökologische Verantwortung oder ökologische Weisheit wird praktiziert.

Auf der Synode wurde, zumindest programmatisch, in neuer Weise der Kampf um die Jugend und nicht zuletzt um die Arbeiter wieder aufge- ' nommen. Uberhaupt scheint es mir wichtig, die Synode als einen solchen Ansatz zur praktischen Revision unserer Lebensformen zu begreifen.

„Müßten hier nicht viel mehr die politischen und sozialen Dimensionen der Verantwortung deutlich werden?“

Die keimhaften Ansätze zur Umorientierung unserer Lebensprioritäten, wie sie in der Synode vorliegen, dürfen nicht erstickt werden, ebensowenig wie die schüchternen Versuche zu neuen Gemeindeformen oder die zahlreichen, wenn auch keineswegs unter sich immer hinlänglich abgestimmten Initiativen unserer Jugend oder die Initiativen der Arbeiterpriester und anderer.

Solche im Kirchenvolk kaum bekannte Ansätze brauchen nicht mar-ginalisiert zu werden, brauchten nicht der Resignation ausgeliefert sein, ehe sie ernsthaft begonnen haben, wenn sich die pastorale Gesamttendenz unserer Kirche von einer defätistisch gestimmten Dammbruchstrategie abwendet und den Zumutungen radikaler „Umkehr der Herzen“ zuwendet, wenn also die pasto-ralen Konzepte mehr unter die Prioritäten der entschlossenen Liebe geraten.

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