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Was sich Kirchen von Bonn erwarten

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Anfang Mai verliest Buhdeskanzler Kohl seine Regierungserklärung. Auch die Kirchen haben in der Vorbereitungszeit ihre Ansichten artikuliert und versucht, eigene Vorstellungen einzubringen.

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Anfang Mai verliest Buhdeskanzler Kohl seine Regierungserklärung. Auch die Kirchen haben in der Vorbereitungszeit ihre Ansichten artikuliert und versucht, eigene Vorstellungen einzubringen.

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Durch das Büro des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche „am Sitz der Bundesrepublik Deutschland“ und durch das Kommissariat der deutschen Bischöfe in Bonn sind die beiden großen Glaubensgemeinschaften gewissermaßen mit diplomatischen Gesandtschaften in der Bundeshauptstadt präsent. Diplomatisch, mitunter recht geheimdiplomatisch sind denn auch die Aktivitäten dieser beiden Häuser.

Vom Abtreibungsparagraphen 218 des Deutschen Strafgesetzbuches bis hin zur Frage der Rake- ten-Nachrüstung, von der Ausländerproblematik bis zur Familien-, Sozial- und Steuerpolitik reichen die Themen, die angesichts des von Helmut Kohl verheißenen Aufschwungs die kirchenpolitischen Schwerpunkte bestimmen. Das Bemühen der beiden Konfessionen, hier ihre Vorstellungen einzubringen, vollzieht sich teils in enger Zusammenarbeit, teils aber mit deutlich unterschiedlichen Akzenten.

Gegen die derzeitige Abtreibungspraxis protestieren sie gemeinsam; eine Gesetzesänderung dagegen wünscht sich nur die katholische Seite, während die Protestanten eher auf die Durchsetzung von organisatorischen Rahmenbedingungen zur Vermeidung von Schwangerschaftsab- brüchen setzen. Der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche, Prälat Heinz Georg Binder, dazu in einem Gespräch mit der FURCHE: Man glaube einfach nicht, daß dem Problem mit dem Strafrecht beizukommen sei.

Das Katholische Büro dagegen erwartet von der Union, sie solle per Gesetz verhindern, daß Abtreibungen aufgrund sozialer Notlagen weiter von den Krankenkassen finanziert werden.

Zumindest im Ansatz übereinstimmend sind auch die Bemühungen für die ausländischen Arbeitnehmer. Aber während die katholische Kirche sich vehement gegen eine Nachzugsbegrenzung für Ausländerkinder ab dem sechsten Lebensjahr wehrte — eine ursprüngliche CSU-Forde- rung, die mittlerweile auf gemeinsamen Druck von katholischen Bischöfen und Freien Demokraten hin auf ein Nachzugsalter von 16 Jahren korrigiert wurde —, wollte man sich evangelischer- seits auf eine Fixierung eines bestimmten Nachzugsalters nicht festlegen.

Scharfen Protest gegen den Be-

Schluß der Koalitionsparteien, die Investitionshilfe-Anleihe, also eine zusätzliche Steuerabgabe von Besserverdienenden zur Investitionsförderung, entgegen ursprünglicher CDU-Absicht nun doch noch zurückzuzahlen, hat jetzt die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung erhoben:

Es sei nicht hinzunehmen, daß Rentnern, Arbeitnehmern und sozial Schwachen Opfer zugemutet würden, während die Besserverdiener mit einem bloßen Zinsverlust davonkämen, donnerte der Vorsitzende des rund 330.000 Mitglieder zählenden, katholischen Arbeitnehmerverbandes, Alfons Müller. Die Union habe wohl schon vergessen, daß sie ihren Wahlsieg den Arbeitnehmern verdanke.

Gewisse Unruhe herrscht auf kirchlicher Seite auch darüber, daß die vielfach geforderte Rentenanrechnung von einkommenslosen Jahren, die Elternteile der Kindererziehung widmen, nun auf die lange Bank geschoben werden soll. Denn damit entfällt die von der Union so oft beschwo-i rene Honorierung der Leistung der Nur-Hausfrau und Mutter.

Katholische Besorgnis darüber hinaus regt sich über die Verzögerung des steuerlichen Familien- Splittings, also der Reform der Besteuerung des Gesamt-Familieneinkommens, die vor allem

Kinderreichen zugute kommen soll. Angekündigt war diese Neuordnung zunächst für Anfang 1984; jetzt spricht die Regierung von der Jahresmitte 1985 — und dies mit dem sybillinischen Zusatz: „Wenn die finanzielle Lage es erlaubt“.

Geradezu tragisch deckungsgleich sind evangelische und katholische Kirche darin, daß sich ihre Gliederungen in der Friedensfrage völlig uneins zeigen. Das Ringen um einen rettenden Ausweg vor einem Dritten Weltkrieg, die Frage, ob Nachrüstung oder Pazifismus die Menschheit am Leben erhält, findet in keiner Konfession eine gemeinsam getragene Antwort.

Daß der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ ursprünglich von evangelischer Seite stamme, ehe Kanzler Kohl seine Modifizierung „Frieden schaffen mit weniger Waffen“ einbrachte, rückt der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche zurecht: Es sei lediglich „eine Gruppe im evangelischen Bereich“, die „ohne Waffen“ den Frieden für rettbar halte.

Auch die katholische Kirche in Deutschland vertritt offiziell die Jein-Auffassung, daß - jedenfalls mit ethischer Blickrichtung - für Christen unterschiedliche Wege in der Friedensarbeit möglich sein müssen.

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