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„Was soll man tun ? Ich wart' nur aufs Sterben”

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Eine von Anton Amann ausgewertete Untersuchung an alten Menschen in Wien belegt ganz typisch die „vielfältige Problematik sehr alter Menschen, die nach dem Wegsterben des Gatten allein in einer Wohnung leben und für die in vielen Fällen der Verluste des Partners lebenshistorisch zum größten Problem wird”, das vor allem im höheren Alter kaum mehr bewältigt werden kann.

Diese Untersuchung zeigt auch, daß sich vor allem mit zunehmenden Alter die sozialen Kontakte sehr nachdrücklich auf den nächsten Verwandtenkreis einschränken, daß kaum Besuche gemacht werden und auch wenige Besuche kommen, sofern beispielsweise eine angegriffene Gesundheit oder ähnliche Beeinträchtigungen vorliegen.

Rund 60 Prozent der Personen über 60 Jahre erhalten seltener als einmal pro Woche oder gar nie Besuch; rund ein Viertel wird mehrmals pro Woche aufgesucht, doch der Anteil jener, zu denen nie jemand kommt, wird mit höherem Alter größer und beträgt bei den über 80jährigen über zehn Prozent.

Immerhin 45 Prozent der 60 bis 70 Jahre alten Menschen fühlen sich einsam, von den über 70 Jahre alten Menschen empfinden sogar 53 Proezent Gefühle der Einsamkeit und der Verlassenheit.

Anton Amann nennt einige typische Fälle von Not und Elend in Wien, von denen wir nur zwei herausgreifen.

„Frau, 84 Jahre, steht in ärztlicher Betreuung, muß Medikamente wegen des Spezialitätencharakters teilweise selbst bezahlen. ,Ich leist' mir nur das Notwendigste.' Das Heizmaterial kauft sie sich vom Geld, das sie von Verwandten zu Weihnachten geschenkt bekommt.”

„Frau, 78 Jahre, Nach einem leidvollen und entbehrungsreichen Leben (als jüdische Familie verfolgt, die Söhne im Ausland, Angehörige ermordet) lebt sie allein und einsam. ,Ich bin sehr eingeschränkt, kann mir ja nichts leisten.' Das Gespräch ist gekennzeichnet durch re-signative Äußerungen: ,Was soll man schon tun? Wenn man nichts tun kann, wird man schon zufrieden — ich wart' eh nur aufs Sterben.4”

Die wenigsten alten Menschen wünschen die Aufnahme in ein Pensionisten- oder Pflegeheim, die meisten wollen so lange als möglich in gewohnter Umgebung bleiben.

Anton Amann schildert auch den Fall einer 81jähri-gen Frau in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung ohne sanitäre Einrichtungen im dritten Stockwerk eines Altbaues ohne Aufzug. Weil diese Frau gehbehindert ist, hat sie seit zwei Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen. „An alten Baum setzt man nimma um, in ana anderen Wohnung fühl i mi nimmer wohl...”

Aus: Armut in Wien. Eine Studie des Lueger-Instituts der Wiener OVP.

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