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Wer rettet Siebenbürgen?

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Die Sonne gießt .Silber auf den Chiemsee — der Geruch von frischem Heu überduftet den Gestank auf der Autobahn. Am Irschenberg fahre ich ab in Richtung Bad Tölz. In der Ferne die Berge, hoch und mächtig, die Landschaft davor weich und wellig. Ich tauche ein ins Tal und rolle über die Landstraße. Wiesen, Wälder, Dörfer. Schwer hocken die Siedlungen in der Gegend; die Luft schmeckt wie frische Butter. Bayrische Dörfer.

Sie liegen friedlich in den Feldern, dürfen weiterleben — anders als die Dörfer Siebenbürgens, die zerstört und vernichtet werden sollen nach dem Willen des rumänischen Conducators. Jahrhundertealte traditions- und kulturreiche Siedlungen sollen geschleift werden. Mit Gewalt soll vernichtet werden, was jahrzehntelange Diktatur nicht verlöschen konnte. Und mit den Dörfern die Menschen. Denn wer Menschen ihre Tradition raubt, der tötet sie geistig. Ein seelischer Holocaust, eine neue Shoah kündet sich an.

Transsylvanien war und ist Schmelztopf der Völker, Muster des Wissens um die anderen, um ein Zusammenleben in Freund-

schaft. Ich bin dort gewesen, als Kind, als Bursche, als Mann, habe das Land erlebt in Kronstadt, in Hermannstadt: wie sich die Menschen aneinanderschmiegten, aneinander zart rieben und einander doch vertrugen — die Rumänen, die Ungarn, die Deutschen

und die Juden. Wie sangen die Juden dieser Gegend? „Romejni, Romejni, Romejni / bist a Ländele a klejnes, bist a Ländele a fajnes! / Wie schmeckt die Mamaliga, die süße Kugel und der Wein!“

Auf verschiedene Weise haben sie gemeinsam zu4hrem einen, gemeinsamen Gott gebetet! Die Fiedel hat gejauchzt, die bärtigen Gesichter haben gelacht. Einig waren sie sich, wenn sie über Ca-rol, ihren König, und seine Madame Lupescu geschimpft und gelacht haben. Es konnte nur besser werden? Schlechter, noch schlechter ist es geworden. Jetzt soll der letzte Rest dieser eigenartigen großen Kultur zertreten und ausgelöscht werden.

Die Deutschen versuchen, sich für ihre Stammesbrüder einzusetzen, die Ungarn für die ihren. Aber wer schützt diese Rumänen vor diesem einen Rumänen, der zweiundsiebzigjährig, starrsinnig wie im Rausch, die Vernichtung plant, der die Häuser, die zierlichen Gärten in den Boden stampfen will — und wird?!

Geht denn kein Schrei des Entsetzens durch Europa? Denn auch Rumänien ist Europa, ein Teil unserer gemeinsamen Kultur und ein bedeutender noch dazu. Zerbrechen sich die Experten bei den Vereinten Nationen nicht den Kopf, wie das alles doch noch zu retten wäre? Nein. Niemand darf, niemand will sich in sogenannte interne Angelegenheiten einmischen. Was nie jemand zu glauben wagte, ist Wahrheit geworden. Ein großer Teil des rumänischen Volkes wünscht sich den Einmarsch sowjetischer Truppen. Es ist absurd, aber wahr. Wenn der Westen jetzt nichts unternimmt — auch Österreich sollte es immer wieder tun — darf er sich nicht wundern, wenn er dort in Transsylvanien seine Glaubwürdigkeit verliert.

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