6805215-1972_03_06.jpg
Digital In Arbeit

Wieder Jesuiten

19451960198020002020

Fast 100 -fahre lang waren zwei Paragraphen Bestandteil dei Schweizerischen Bundesverfassung von 1874, denen man deut lieh das Trauma des gerade überstandenen Kulturkampfes anmerkte: die Liberalen, auf deren Sieg letztlich diese Verfassung zurückging, und die mehrere Jahrzehnte allein die Bundesräte (Minister) der Schweiz stellten, zeigten mit den Paragraphen 51 und 52 noch einmal den Konservativen, die sich aus den katholischen Kantonen rekrutierten, die Zähne.

19451960198020002020

Fast 100 -fahre lang waren zwei Paragraphen Bestandteil dei Schweizerischen Bundesverfassung von 1874, denen man deut lieh das Trauma des gerade überstandenen Kulturkampfes anmerkte: die Liberalen, auf deren Sieg letztlich diese Verfassung zurückging, und die mehrere Jahrzehnte allein die Bundesräte (Minister) der Schweiz stellten, zeigten mit den Paragraphen 51 und 52 noch einmal den Konservativen, die sich aus den katholischen Kantonen rekrutierten, die Zähne.

Werbung
Werbung
Werbung

„Der Orden der Jesuiten und die hm affiliierten Gesellschaften dürfen n keinem Teil der Schweiz Auf-Lahme finden und es ist ihren Glie-lern jede Wirksamkeit in Kirche und ichule untersagt.“ So befahl es hart ind kompromißlos der 51. Der tächste Paragraph erweiterte sogar loch dieses Verbot: „Die Errichtung leuer und die Wiederherstellung ufgehobener Klöster oder religiöser )rden ist unzulässig.“

Der Streit um die Berufung der esuiten nach Luzern im Jahre 1844, :urz vor dem Sieg der liberalen Gräfte im Gefolge der 1848er Revo-utionen, hatte sogar militärische 'olgen gehabt: Freischarenzüge bra-hen gegen die Luzerner Regierung uf, denen sich aber erfolgreich Mannschaften aus den Waldstätten, len katholisch gebliebenen Urkan-onen, entgegenstellten, mit denen .uzern damals den viel zitierten Sonderbund“ abschloß. Diese Ereig-isse am Vorabend ihrer endgültigen Itaatswerdung haben in der Schweiz ange nachgewirkt und sind unterschwellig auch heute noch bei manchen virulent. Ihre äußere Folge zumindest, eben die beiden Verbotsartikel der Verfassung, sollen nach manchen Anstößen nun beseitigt werden.

Auch die Liberalen, die sich seit 1890 mit den Konservativen, seit der Jahrhundertwende mit den Sozialisten in die Regierung teilen müssen, haben seit langem die Unvereinbarkeit der verfassungsmäßig beschworenen Toleranz mit diesen diskriminierenden Ausnahmeartikeln eingesehen. Der jetzt zurückgetretene Bundesrat von Moos hat bereits vor 17 Jahren, damals noch als Ständerat, also Kantonsvertreter, die Aufhebung betrieben. Jetzt hat der Bundesrat, nach langen Beratungen mit den Kantonsregierungen, den Parteien, Kirchen und anderen interessierten Organisationen, dem Parlament seinen Antrag auf ersatzlose Streichung der beiden Paragraphen zugeleitet, die Verhandlungen werden in wenigen Wochen beginnen. Das Ergebnis dürfte schon jetzt feststehen: die Teilrevision der Verfassung wird stattfinden und damit der Beitritt zur europäischen Menschenrechtskonvention möglich sein.

2,8 gegen 2,3 Millionen

Der Geist der Schweizer Verfassung mit seiner vorsichtigen Abgrenzung gegen eventuelle kirchliche Ansprüche und Übergriffe ist damit an einem entscheidenden Punkt überwunden — andere harren noch der Aufarbeitung, nicht zuletzt jener, der die Errichtung von Bistümern der Genehmigung des Bundes unterstellt. Die Praxis der Beziehungen von Staat und Kirche — in beiden großen Konfessionen — ist längst über dieses vorsichtige Abwägen hinausgeschritten.

Zufällig hat das Eidgenössische Statistische Amt gerade zu diesem Zeitpunkt die ersten Ergebnisse der Volkszählung von 1970 bekanntgegeben. Danach ist der Anteil der Katholiken an der Schweizerischen Gesamitbevölkerung in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen: sie nahmen um 630.000 Personen zu, während nur 130.000 mehr bei den Protestanten zu verzeichnen sind. Vor allem die größere Zahl der — meist katholischen — Gastarbeiter wird hier dokumentiert. 2,8 Millionen Protestanten wohnen nun mit 2,3 Millionen Katholiken zusammen. Konfessionelle Ausnahmeartikel wirken in dieser Landschaft überwiegend ökumenisch gesinnter Christlichkeit nur noch als störend.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung