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Wofür lohnt es sich zu sterben?
Wofür lohnt es sich eigentlich zu sterben? Der Autor ringt um eine Antwort, die er in einem Satz zu finden hofft: Wofür es sich zu leben lohnt, dafür lohnt es sich auch zu sterben.
Wofür lohnt es sich eigentlich zu sterben? Der Autor ringt um eine Antwort, die er in einem Satz zu finden hofft: Wofür es sich zu leben lohnt, dafür lohnt es sich auch zu sterben.
Eigentlich haben mich die Krieger- und Heldendenkmäler von Anfang an begleitet. Als Kind bin ich nahe bei einem Friedhof aufgewachsen. In den Tagen um Allerheiligen war es auch bei uns üblich, das Grab der Großeltern zu besuchen. Wenn wir das Grab herbstlich versorgt und gebetet hatten, gingen wir zumeist noch eine Runde durch den Friedhof, die beim Kriegerdenkmal endete. In der nebeligen Dämmerung, die meist schon eingefallen war, brannten und zuckten zahllose Kerzen im Halbrund des Denkmals und in ihrem Schein erhielten die Namen und Bilder dieses Baues geheimnisvolle Bedeutung: den tapferen Helden...
Einen ganz anderen,existentiellen Zugang habe ich bei meinem Einsatz als Militärpfarrer beim österreichischen UN-Bataillon auf Zypern gefunden. In der Nähe von Larnaka, der Stadt, wo heute die aus Wien kommenden Flugzeuge landen, liegt eine kleine Gedenkstätte an der Straße nach Nikosia. Ein Kreuz, drei blaue Helme, eine Tafel mit drei Namen erinnern an drei Menschen, die dort gestorben sind.
Sind diese drei Soldaten Helden gewesen? Ihre Hartnäckigkeit im Dienste des Friedens hat diesen drei Österreichern im Sommer 1974 das Leben gekostet. Ob sie unnötig gestorben sind? Sie würden heute noch leben, wenn sie bei ihrem Vermittlungsversuch schneller aufgegeben hätten. Sie hätten sicher noch gerne länger gelebt. Helden? Abenteurer? Dummköpfe?
Ein Satz ist mir als Erklärung angeboten worden: „Wenn man nichts hat, wofür es sich zu sterben lohnt, hat man auch nichts, wofür es sich zu leben lohnt." In mir wehrt sich vieles gegen diesen Satz. Ich will nicht sterben, ich will leben. Dazu hab' ich doch das Leben bekommen — und nicht, damit ich es gleich wieder verliere?!
Das stimmt sicherlich. Aber: Wofür hab' ich das Leben bekommen? Ich muß es doch sinnvoll für etwas einsetzen, sonst zerrinnt es mir zwischen den Händen. Denn jeder Tag ist ja ein Tag, der von meinem vollen Bankkonto des Lebens abgehoben wird. Wofür verwende ich, wie investiere ich das Kapital meines Lebens? Vielleicht muß ich nur den Satz umdrehen? „Wofür es sich zu leben lohnt, dafür lohnt es sich auch zu sterben."
Wenn es sich lohnt, für den Frieden zu leben — dann lohnt es sich auch, für ihn zu sterben. Für die drei Soldaten war das offenbar keine Frage.
Wenn es sich lohnt, für die Verkündigung der frohen Botschaft zu leben, dann lohnt es sich, das Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Für einen Franz Xaver keine Frage. Natürlich wollte er leben, um seine Botschaft zu künden. Aber der Einsatz war ihm klar.
Sie können weitere Beispiele aus der Geschichte suchen. Sie dürfen sich auch in ihrem Leben umschauen, sie können auch in der Hl. Schrift nachschlagen: Es gibt keine größere Liebe, auch Liebe kann das Leben kosten. (Jo 15,13; 10,11; 12, 25)
Helden sind Menschen, die eine klare Entscheidung treffen, wofür sie ihr Leben einsetzen. Für die Familie. Für den Frieden. Für die Mission. Für ...
Eine Inflation der Helden ist nicht zu befürchten. Die klar Entschiedenen unter den Familienangehörigen, den Friedenskämpfern, den Grünen, den Priestern und so weiter sind nämlich täglich neu angefragt.
Die Vorstellungen von den Helden sind wandelbar, das wird einem bei Blicken in die Ge-schichts- und Geschichtenbücher genauso deutlich wie vor den Heldendenkmälern. Aber gebraucht hat man Helden zu allen Zeiten. Aus einer Sehnsucht heraus, daß man irgendwo greifbar sehen möchte, daß es sich lohnt, das Leben zu leben.
Ich bin dankbar für jeden Vater, jeden Priester, jede Mutter, jeden Politiker, jeden Menschen, der das anschaulich machen kann. Diesen und all denen, die es vor ihnen vermochten, will ich diesmal zu Allerseelen eine Kerze entzünden.
Der Autor ist Studentenseelsorger in Wien.
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