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Zeitgenosse

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Showbusineß: lebendige Traumwelt, Hysterie der Massen, Reflexion vergangen-gegenwärtiger Zeiten und Menschen, Manipulation des einzelnen und der Gemeinschaft, Schachspiel der Irrationalität, Idol der Zeit, härtestes Geschäft, Rochade mit „Lebenden“, „Toten“ und „Sterbenden“. Fast ein Viertel] ahrhundert im Showbusineß „Nr. 1“ zu sein — und es in Österreich konkurrenzlos zu bleiben, das allein spricht schon für die eiserne Disziplin sich selbst und auch den Partnern gegenüber. Man muß sich selbst verleugnen, in, mit und für andere leben, um sich in dieser Branche behaupten zu können. Viele Stars kommen und gehen, werden entdeckt, emporgejubelt und wieder fallengelassen. Die „Lebenden“ unter den Stars kämpfen tagein, tagaus mit sich selbst, mit der Umwelt, verströmen sich selbst; für sie wird gekämpft, sie werden zur Ader gelassen, bis sie verbluten — oder noch stärker, noch größer werden und vor allem mit der Zeit mitwachsen — Becaud, Aznavour, Alexander. Den geschäftlich, psychisch oder physisch „Toten“ unter den Stars — Edith Piaf — wird das Image genommen und wie eine Maske neuen Sternlein aufoktroyiert, diese wieder manipuliert — siehe Mathieu. Die „Halbtoten“, die „Sterbenden“ unter den Stars werden mit größtem psychologischem, finanziellem und werbemäßigem Aufwand nochmals aus- und abgeweidet, die leere Hülle fallengelassen — „that's showbusiness“.

Viele Stars (acht Seiten umfaßt die Besetzungsliste seiner Konzerte aus zehn Jahren) sah er aufgehen und wieder in der Versenkung verschwinden — er blieb, und er gedenkt auch zu bleiben: Österreichs „Nr. 1“ unter den Veranstaltungsorganisatoren, selbst nicht „kreativer“ Manager von Stars, „Konsulent“ für das Programm der „Kulturvereinigung der Jugend“, „Stimmen der Welt“-Ma-nager, „Zirkusdirektor unter Kasperln und Raubtieren“ (wie er sich selbst tituliert): Joachim Lieben, geboren 1930 in Wien, Matura im Piaristengymnasium, Konservatorium der Stadt Wien (Klavier, Orgel, Horn, Theorie), Akademie für Musik und Darstellende Kunst, schweifte über „Technik“ und „Welthandel“ ab zum Film, zu den toten Spiegeln der Zeit, und landete schließlich 1954 als Generaldelegierter bei den „Jeunesses Musicales“, der „Musikalischen Jugend“, deren Präsident er schließlich wurde. Da seine private Liebe der „toten Musik“, der klassischen, gilt, die er auch privat für die bessere hält, diese teils selbst praktizierte und in großem Stil organisierte, suchte der „ewig Suchende“ als neues geschäftliches Tätigkeitsfeld die „lebendige Musik“, die ihn als Erscheinungsform und Beruf faszinierte. So entstand 1960 die „Kulturvereinigung der Jugend“ (als Verein deklariert mit ihm als Konsulenten, dem die Programmgestaltung untersteht), aus der 1966 die Konzertreihe „Stimmen der Welt“ hervorging.

Nun setzte er Stein auf Stein. Der organisatorische Übergang vom klassischen Konzert über den Jazz zum Chanson gelang, und der Instinkt des Showman, gepaart mit der Egozentrik des „Skorpions“ (als Sternbild) verhalfen ihm zum großen Sprung ins internationale Busineß nach dem Motto „Eingreifen heißt ordnen“. Mit finanzieller Vorsicht und großer Branchenkenntnis holte er zuerst als „Co“ die Stimmen der Welt nach Österreich, gab aber schließlich selbst auch die Anregungen für neue Konzerttourneen, an die er sich vorerst nur „anhängen“ konnte. Bis Künstler von Weltformat erkannten, daß Wien einer der größten Prüfsteine für jede gelungene Tournee ist, denn das Wiener Publikum gilt als eines der heikelsten, anspruchsvollsten und kritischesten. Nur absolute Spitzenleistungen bringen in Österreich auch den absoluten Erfolg. Den Erfolg, von dem jeder Künstler lebt, der Erfolg, für den jeder Künstler bereit ist und bereit sein muß, sein letztes zu geben, sich total in seiner Musik und im Publikum zu verlieren. Die Wiener Stadthalle, der Musikvereinssaal und vor allem das Wiener Konzerthaus waren für viele Stars der „Circus maximus“, in dem das Publikum wie einst im alten Rom mit erhobenem oder gesenktem Daumen über Gegenwart und Zukunft, „Leben“ und „Tod“ entschied. Nun starteten bereits viele Künstler ihre Tourneen in Wien (wie Udo Jürgens) oder beschlossen — kleingläubig — ihre Tourneen in Wien (wie Frank Sinatra).

Ein Mann allein schaffte diese Bonität (sowohl in finanzieller wie in erfolgsmäßiger Hinsicht): Joachim Lieben. Das Telephon immer zur Hand, das Telex in greifbarer Nähe. Denn internationale Verträge werden heute via Draht geschlossen, das Geschäft mit den Millionen hat den normalen Postverkehr bereits überrollt.

Privat gilt Lieben teilweise als „einsamer Wolf“. Mitten im Trubel versucht er sein Privatleben von jeglichen Umweltseinflüssen fernzuhalten (Ski, Segeln, Wandern, Bergsteigen, Sport im allgemeinen, klassische Musik). Sonst schlägt „der teuflische Hammer“, das Busineß, immer und überall zu, ohne Rücksicht. Seine Liebe gilt der Kunst und den Künstlern, er lebt mit ihnen, teilt mit ihnen Erfolg und Mißerfolg, psychisch und physisch, lebt an einem Konzertabend vielerlei Leben: er fühlt mit dem Publikum, für das Publikum, verströmt sich mit dem Künstler und bleibt stets der große Mann im Hintergrund.

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