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Zorn über kirchliche Hochmuts-Ideologie
„Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb alle … aus dem Tempel hinaus; das Geld der Wechsler warf er zu Boden und stieß ihre Tische um." (Jo 2,15). Dieses Bild des zornigen Jesus trat mir an vielen Stellen von Schermanns Buch „Woran die Kirche krankt" vor Augen. Es ist nämlich ein zorniges Buch, worin zugleich seine Stärke und seine Schwäche gründet.
Seine Schwäche insofern, als der Autor seinem beachtlichen journalistischen Talent oft die Zügel schießen läßt. Wer so emotionell schreibt, gerät wie von selbst in eine gewisse Einseitigkeit und muß damit rechnen, Gegenemotionen zu provozieren.
Mit wahrem Bieneneifer hat Schermann eine Unzahl von Belegen aus fast 2000 Jahren Christentum zusammengetragen, doch gerade die vielen Einzelheiten machen ihn angreifbar, denn naturgemäß kann man viele Fakten auch anders deuten. Die Überfülle des Stoffes bringt es weiter mit sich, daß mir manches Glaubensproblem einfach zu undifferenziert behandelt erscheint.
Wie einen Knick empfand ich, daß die grollende Kritik an kirchlichen Krankheitssymptomen in der zweiten Buchhälfte in fast enthusiastisches Lob für Cursillo und charismatische Gemeindeerneuerung umschlägt. Soviel Gutes diesen Bewegungen auch eignet, es kann doch dem Autor unmöglich entgangen sein, daß sie, aufs Ganze gesehen, keinesfalls jene Richtung einschlagen, für die das Buch plädiert.
Ich jedenfalls würde glauben, daß die Zukunft, wenn auch nicht einer „winterlichen Frömmigkeit" (Rahner), so doch einer solchen gehört, die Glauben und Idealismus in rechter Weise mit Vernunft und radikaler Humanität verbindet.
Der überaus engagierte Stil ist freilich auch die Stärke des Buches. Er macht nicht nur die Lektüre anregend, sondern sichert dem Werk auch das Interesse breiterer Schichten. Dieselbe Materie - sine ira et studio dargestellt -würde viele kalt lassen.
Die Unmittelbarkeit der Vergleiche, etwa jener von den Kindern, Halbwüchsigen und Erwachsenen in der Kirche, ist großartig, der etwas reißerische Charakter mancher Darstellung wird immer wieder in die Seriosität zurückgeholt, wenn der Autor neben den Schatten auch das Licht und neben Licht auch Schatten zur Geltung bringt.
Er trifft m it seiner forschen Art wirklich oft den Nagel auf den Kopf, etwa.
Über das Schermann-Buch wird in Anwesenheit des Aulors am Donnerstag, 11. Juni, um 18 Uhr in der Wiener Buchhandlung Kuppitsch, Schottengasse 4, diskutiert.
wenn er an vielen Stellen die Ideologie des Hochmuts anprangert, die so vieles korrumpiert. Auch seine Kritik einer Lehi-methode des „Zusammenzitierens und Drauflosfabulierens" scheint mir keinesfalls überholt. Und mögen auch Herrschaftslosigkeit und Brüderlichkeit in der Urkirche idealistisch überzeichnet sein, so sollte doch außer Frage stehen, daß hier zumindest eine erstrebenswerte Realutopie für die Zukunft vorliegt.
Viele wird dieses Buch beunruhigen. _ Doch schlimm finde ich keineswegs das Buch, sondern vielmehr eine Vorgangsweise, die bei der Kritik von Einzelheiten stehen bleibt, um sich so die Auseinandersetzung mit seinen Grundanliegen zu ersparen. Auch ich glaube nicht, daß es in der Kirche aufwärts gehen kann, solange die Demut zu dieser Auseinandersetzung und damit zu einer Bekehrung weithin fehlt.
WORAN DIE KIRCHE KRANKT. Von Rudolf Schermann. Econ-Verlag, 304 S., öS 152,50
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