6809068-1972_23_17.jpg
Digital In Arbeit

Zur Zeit Stalins

Werbung
Werbung
Werbung

Nach dem Band „Das unterdrückte Dossier“ mit dem Bericht des ZK der KPTsch über die politischen Prozesse und Rehabilitierungen in der Tschechoslowakei in den zwanzig Jahren zwischen 1948 bis 1968 liegt nun ein weiterer Band vor, der den Bericht der Kommission des ZK der KPTsch über die politischen Prozesse und die politische Justiz der stalinistischen Zeit der Tschechoslowakei (Kolder-Kommission, benannt nach dem Mitglied des Parteipräsidiums Drahomir Kolder, der seinerzeit mit der Untersuchung beauftragt worden war) enthält.

Wenn auch die hier aufgezeigten Tatsachen dem Fachmann keines-unbekannt sind, so ist es doch wertvoll, daß hier der Wortlaut der Untersuchung gebracht wird, die man aus gutem Grund nicht veröffentlichte. Nicht weniger wichtig ist, daß die Namen aller in dieser Kommission Wirkenden genannt werden; wir finden dabei neben Dubcek und (dem neuerlich Verurteilten) General Prchlik den jetzigen slowakischen Parteichef Lenärt und den heutigen Chef der Bundesregierung Strou-gal, die also bestens informiert sein müssen — und zweifellos noch weit mehr wissen, als im schriftlichen Bericht festgelegt ist.

Nicht weniger wichtig als der Wortlaut des Berichtes ist die Einleitung des Herausgebers, der mit Recht darauf verweist, daß diese Utersu-chung natürlich nur eine innerkommunistische gegen verurteilte Kommunisten darstellt. Weit weniger Aufsehen und Interesse in der Weltöffentlichkeit haben die vier weiteren Verfolgungswellen hervorgerufen, die gegen die Deutschen in Böhmen und Mähren (1945, 1946), die gegen maßgebliche Tschechen in der Zeit des Protektorats (etwa Präsident Hacha) und gegen führende Slowaken in der Zeit der slowakischen Republik (etwa Msgr. Tiso), die gegen die bürgerlichen und sozialdemokratischen Politiker (nach 1948) und schließlich die gegen Katholiken, Priester und Bischöfe in der kommunistischen Zeit. Hier werden kaum jemals noch Prozeßberichte vorgefunden werden; rehabilitiert wurde nur ein Bruchteil, vor allem die meisten Bischöfe wurden bestenfalls „begnadigt“ — soweit sie nicht früher in Gefängnissen und Lagern gestorben sind.

Neben Pelikans Einleitung wären allerdings gelegentlich ergänzende Anmerkungen nötig gewesen, wie etwa (auf Seite 43) beim Bericht über den „Sieg der Arbeiterklasse über die Reaktion im Februar 1948“. Hier wäre etwa ein Hinweis auf die Tatsache zweckmäßig, daß bei den einzigen echten Nachkriegswahlen die KPTsch trotz massiver Parteienverbote nur 93 von 241 Abgeordnetenmandaten errungen hat. Und solche gelegentlichen Hinweise wären auch an anderen Stellen von Vorteil, denn der Band wendet sich ja an eine interessierte, aber sicher nicht detailliert informierte Leserschaft.

Die Herausgabe der Dokumente ist wertvoll und wichtig, die Lektüre ist spannend wie ein Kriminalroman — und neue Vorkommnisse, wie eben an der österreichisch-mährischen Grenze, zeigen, daß das alles leider nicht nur der Vergangenheit angehört.

PERVERTIERTE JUSTIZ. Bericht der Kommission des ZK der KPTsch über die politischen Morde und Verbrechen in der Tschechoslowakei 1949 bis 1963. Herausgegeben von Jifi Pelikan. Europa-Verlag Wien, 206 Seiten, Paperback, 1972.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung