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Tragik und Wesen des „Europa dazwischen“

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Mit Bedauern muß der österreichische Leser nach der (wahrscheinlich in einem Zug durchgeführten) Lektüre des Buches von Otto Forst deBattaglia „Zwischeneuropa von der Adria bis zur Ostsee" (Verlag der Frankfurter Hefte, 438 Seiten) dieses Werk aus der Hand legen. Mit Bedauern, weil dieses Buch nicht in einem österreichischen Verlag erschienen ist. Zwar ist sein wesentlicher Inhalt die Geschichte der Jahre 1939 bis 1952 in den Ländern Polen, Tschechoslowakei und Ungarn, scheint also mit der eigentlichen Österreichischen Geschichte nichts mehr zu tun zu baben. In Wirklichkeit hat dies aber mit österreichischer Geschichte doch sehr viel zu tun. Denn wie sich aus dem Studium des Buches ergibt, sind alle Tragödien des Zwischeneuropa von 1939 bis 1952 einerseits nichts anderes als eine Kettenreaktion vön Tragödien, die äuf die Tragödie der Zerschlagung der alten Monarchie folgten, anderseits aber auch eine Folge, daß in früheren Jahrhunderten die beiden großen Mächte dieses Zwi- scheneuropa — Polen und Habsburgermonarchie — nicht zu einer engeren Bindung gelangen konnten. Und dies der Welt immer wieder zu zeigen, wäre eine der Aufgaben der österreichischen Buchproduktion. Daneben hätte sie noch eine andere zu erfüllen: das Wissen um jene Länder, die heute von der freien Welt abgeschnitten sind, nicht verkümmern zu lassen.

Das Buch enthält, wie schon erwähnt, die Geschichte der drei Länder Polen, Tschechoslowakei und Ungarn von 1939 bis 1952. Ein zweiter Band soll der Geschichte Oesterreichs im gleichen Zeitraum gewidmet sein, „der Drehscheibe und dem Zentrum des zu betrachtenden Großraumes, dem überlebenden Rumpf des Habsburgerreiches".. Ein dritter Band soll die Balkanstaaten Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien und Albanien darstellen, „das Glacis zwischen westlicher und östlicher Welt, das nie dem einen oder dem anderen dieser Kulturkreise ganz eingeordnet war".

Der vorliegende erste Band enthält ein Kabinettstück: Eine Einleitung, die eine Art Geschichte des „Zwischeneuropas" vom Anbeginn bis 1918 darstellt mit seinen großen Möglichkeiten, seinen großen Versagern. Ein Kabinettstück, weil es mit seinen brillierenden Formulierungen das alte Argument, gute Fachhistoriker seien schlechte Stilisten, Lügen straft. Bevor der Verfasser auf sein eigentliches Thema eingeht, streift er bei .jedem Land noch die Glschichte in der Zeit zwischen 1918 und 1939. Und dann rollt die Tragödie ab, die mit dem zweiten Weltkrieg be ginnt, mit der Befreiung im Jahre 1945 ihre Fortsetzung findet und schließlich beim „Anschluß" an die östliche Welt endet und gleichzeitig den Untergang der alten Schichten, des alten Lebensstils und das Heraufkommen einer neuen Zeit, einer Zeit ohne Freiheit, gebiert.

In allen Teilen des Werkes beiveist der Verfasser eine enorme Sachkenntnis und glänzende Beherrschung des Stoffes. Wenn nun auf einige kleine Fehler hingewiesen werden soll, so nur deshalb, um nicht in den Ruf zu kommen, das Werk kritiklos zur Kenntnis genommen zu haben. Die Einwände des Rezensenten beschränken sich allerdings nur auf das Kapitel „Tschechoslowakei": Vor allem muß auf die auf Seite 41 bekundete Ansicht, daß am Beginn des Weltkrieges die Mehrheit des tschechischen Volkes, wenigstens die Mehrzahl unter den Gebildeten und den wirtschaftlich Starken, gegen die Habsburgermonarchie waren, zurückgewiesen werden. Immerhin starben noch 200.000 Tschechen im ersten Weltkrieg für das alte Oesterreich und nur 4500 auf Seite der Entente. Der berühmte Historiker Pekar bedauerte noch 1936 den Untergang der alten Monarchie als ein Unglück für sein Volk, und wie er dachten viele. Seite 194 des Buches, wo Vf. vön Benes sagt, daß er das Schlagwort „Jesus, nicht Cäsar" prägte, müßte richtigen heißen, daß sich Benes öffentlich zu diesem von M a s a r y k geprägten Schlagwort bekannte. Die Frau Masaryks (S. 194) war nicht eine Engländerin französischer Abkunft, sondern eine Amerikanerin englisch-französischer Abkunft. Rasin wurde nicht 1920, sondern 1923 ermordet (S. 196). Hächa wurde nicht nach Berlin von Hitler gerufen (S. 212), sondern fuhr von selbst in die Reichshauptstadt — zum Mißvergnügen Hitlers — um zu retten, was noch zu retten war. Msgr. Oliva, der „hervorragende frühere Leiter der Caritas" (S. 268) ist leider kein sehr erfreuliches Subjekt: er ließ sich von der kommunistischen Regierung zum Generalvikar von Leitmeritz ernennen.

Diese Fehler ändern die Tendenz des Buches in keiner Weise und können in einer Neuauflage leicht getilgt werden. Als besonderes Plus des Buches muß noch hervorgehoben werden, daß die Namen durchgehend richtig wiedergegeben wurden, eine Seltenheit bei der Wiedergabe slawischer und madjarischer Namen in deutschen Büchern. Nochmals sei am Schlüsse der Rezension das Bedauern ausgesprochen, daß dieses Buch nicht in einem österreichischen Verlag erschien.

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