6866750-1978_06_10.jpg
Digital In Arbeit

Zweites Berufsschuljahr statt dem Polytechnischen Lehrgang

Werbung
Werbung
Werbung

Zuerst hat die „Akademikerschwemme“ die Gemüter erregt, nun ist es die Verbesserung der Lehrlingsausbildung, mit der sie wieder beruhigt werden sollen. Gemeinsam ist beiden ein hohes Maß an Fehl- und fehlender Information, und der Grund für die - reichlich verspätete - Aktualisierung ist die angespannte Arbeitsmarktsituation.

Die Lehrlingsausbildung ist nicht nur quantitativ von größerer Bedeutung (es gibt derzeit rund 180.000 Lehrlinge), sondern auch hinsichtlich ihrer Qualität. Die höheren Verdienste vieler Arbeiter haben ihr Prestige bisher nicht wesentlich verbessern können. Sozialprestige ist nun einmal nicht nur eine Frage des Geldes, sondern vor allem der (Aus)Bildung. Das hat sich auch unter den Lehrlingen herumgesprochen, die ihre Situation im Vergleich mit gleichaltrigen Schülern sonst im allgemeinen positiver bewerten.

Die Bundeswirtschaftskammer hat zwar in einer Untersuchung festgestellt, daß Lehrlinge mit ihrer Ausbildung zufrieden sind und „mit grauer Theorie“ nicht belästigt werden wollen, aber es gibt Fakten, die dieses Ergebnis zumindest in Frage stellen. Zunächst einmal sollten solche Umfragen mit Skepsis behandelt werden, denn die Antworten beziehen sich in erster Linie auf das Betriebsklima, den Verdienst und nur zu einem geringen Prozentsatz auf die Ausbildung selbst. Da ist aber auch der Zuzug zu den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, der in den letzten Jahren erheblich stärker gestiegen ist als der zu den allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS). Von dort sind 1976 sogar fast zwanzig Prozent in berufsbildende Schulen übergetreten.

Auch die Bundeskammer hat feststellen müssen, daß mehr als ein Drittel der Berufsschüler den Wunsch nach mehr Allgemeinbildung geäußert hat, ein Wunsch, dem sich nicht nur der Gewerkschaftsbund, sondern auch die ÖVP anschließt Die Notwendigkeit einer zumindest branchenweisen Ausweitung der Berufsschulzeit (von derzeit einem oder eineinhalb Tage pro Woche) auf zwei Tage wird auch von der ÖVP anerkannt. Gleichzeitig hat sich herausgestellt, daß die im ländlichen Raum aus regionalen Gründen üblichen „Schulblöcke“ über mehrere Wochen statt einzelner Wochentage bei den Lehrlingen beliebter und ausbildungsmäßig effektiver sind.

In der betrieblichen Ausbildung ist Österreich mit anderen europäischen Industrieländern nur schwer zu vergleichen. Hier überwiegen mehr oder minder gut ausgestattete Klein- und Mittelbetriebe, die im Durchschnitt nicht mehr als drei Lehrlinge aufnehmen können. Zwar ist die Zahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, in den letzten Jahren auf fast 57.000 gestiegen, das ist aber doch nur etwa ein Fünftel aller Betriebe in Österreich. Für eine umfassende Berufsausbildung ist die zwischenbetriebliche Lösung, bei der Betriebe einander ergänzen können, wohl die beste. Wie notwendig sie ist, zeigt auch die Tatsache, ■ daß wohl nur ein Zehntel der Lehrlinge das Lehrziel nicht erreicht, von diesen aber die meisten an der Praxis-Prüfung scheitern und nicht etwa an der Theorie.

Wenn im österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (ÖIBF) der Standpunkt vertreten wird, daß Lehrlinge nicht in erster Linie als Arbeitskräfte, sondern zur Ausbildung im Betrieb sein sollen, so trifft sich dies mit der von der ÖVP gestellten Forderung, daß Lehrlinge mehr als bisher als Schüler betrachtet werden müssen, und mit ihrer Feststellung, daß noch immer ein großer Teil der Betriebe die Ausbildung durch betriebsfremde Arbeiten verfälscht. Ab 1985 sollen nur noch solche Betriebe Lehrlinge aufnehmen dürfen, in denen - so will die ÖVP - die Ausbilder selbst eine pädagogische und psychologische Ausbildung absolviert haben.

Das ÖIBF erarbeitet derzeit einen Ausbildungsplan, der sich in wesentlichen Punkten mit dem Bildungsplan der ÖVP deckt Das polytechnische Jahr soll durch ein Berufsschuljahr ersetzt werden. Die duale Lehrlingsausbildung (Schule und Betrieb) würde dann nur noch zwei Jahre dauern, aber auf zwei Wegen vorgenommen werden können: je nach Eignung zwei Tage pro Woche Berufsschule und drei im Betrieb oder an zwei Tagen betriebliche und an dreien Berufsschulausbildung. Nach diesen zwei Jahren wäre eine weitere Ausbildung mit Theorie- und Praxistagen im Verhältnis 3 : 2 oder 4 :1 möglich. Abschluß dieser Ausbildung könnte eine Art Fachmatura sein, die durch ihre starke Annäherung an die der BHS eine höhere Weiterbildung erleichtert.

Allgemein beklagt wird das Fehlen von Berufsforschung und die mangelhafte Berufsinformation für Eltern und Schüler. 95 Prozent aller Lehrlinge standen im Vorjahr in nur 77 -von 225 möglichen - Lehrberufen, über die Hälfte konzentrierte sich auf nur zehn Berufe. Diesem Mangel sollte durch ein Pflichtfach „Berufsinformation“ ab der sechsten oder siebenten Schulstufe abgeholfen werden

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung