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Die leere Lehre

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„Wie verhungerte Rocker. In der vierten Klasse ausgetreten, nehmen sie Affenbewegungen und die Fabriksgewohnheiten an. Von Denken ist keine Rede mehr.” Was wie eine populärwissenschaftliche Anleitung zu einem Werk der anthropologischen Verhaltensforschung klingt, ist schlicht und einfach die wörtlich zitierte Meinung eines denkenden Beamten. Und zwar über Lehrlinge.

Wenn hingegen von Jugendlichen die Rede ist, die ständig unter Noten- und Lemstreß stehen, sich aus Schulangst umbringen, Deutsch „nach der Schrift” reden und auch bei politischen Fragen eher Bescheid wissen - dann sind es Mittelschüler.

Der Klassenkampf ist schon lange da. Angeheizt durch gegenseitige Vorurteile, ist die Diskrepanz zwischen zwei Arten Schülern sehr groß. Während die einen ein äußerst schwaches Berufsschulniveau haben (das sich in den letzten Jahren ein wenig verbessert hat), und gleichzeitig erste - meist entscheidende - Erfahrungen in der harten Berufswelt sammeln, sind die anderen in der Allgemeinbildung weit voraus.

Durch die Berufswelt, beziehungsweise den Schulalltag geprägt, sind die Interessen auch sehr verschieden. Hinzu kommt, daß Lehrlinge immer noch als gestrandete Mittelschüler angesehen werden, die es nicht zur Matura gebracht haben oder einfach nicht bringen wollten. „Aus Faulheit”, gestehen sich einige von 13 Bürokaufmannslehrlingen ein, mit denen die FURCHE ein Gespräch führte.

Und die Ungerechtigkeit wird auch vom Staat unterstützt: Die Sozialistische Jugend (SJ) spricht, nach einer Untersuchung der Arbeiterkammer, von einem ungleichen Verhältnis in der Aufwendung finanzieller Mittel bei der Ausbildung junger Menschen. So werden für einen AHS- Schüler im Jahr runde 25.000 Schilling hingeblättert, ein Berufsschüler muß sich mit 13.000 Schilling zufriedengeben.

Die Gewerkschaftsjugend hat vor kurzem eine Aktion gestartet, die Mißstände aufdecken und gleichzeitig Unternehmer als böse kapitalistische Ausbeuter entlarven soll: „ÖGJ deckt auf soll dem Uberstundenunwesen bei Lehrlingen ein Ende setzen (Überstunden sind für Lehrlinge prinzipiell verboten).

Eine Aktion, die selbst von der Jungen ÖVP (JVP), die ja im Lehrlingsbereich ein Riesendefizit für sich verbuchen kann, begrüßt wird. JVP-Bundessekretär Günther Thaler will vor allem das bisweilen miserable Image des Lehrlings in den Medien verändert sehen. Außerdem, mit einem Seitenhieb auf eine S J-Aktion, bei der Unterlagen über den „ausge- beuteten Lehrling” vor Berufsschulen verteilt werden: „Miteinander reden ist besser als Flugzettel verteilen.”

Die Lehrlinge selbst sind nicht so dumm, wie es die Jugendorganisationen der Parteien oft glauben. So spricht Silvia, Bürokaufmann bei einer Wiener Tageszeitung, sachlich über ihre Berufswahl: „Jeder hat sich selbst für den Beruf entschieden.” Sie will nach der Lehre die Abendmatura machen. Weil man als Maturant doch bessere Chancen hat, beruflich zu einem höheren Verdienst zu gelangen. Und auch Barbara möchte die Matura nach der Lehre anstreben. Trotzdem ist bei vielen die Zufriedenheit im. Beruf groß.

Die Überheblichkeit vieler Mittelschüler wird vor allem vom jeanstragenden Thomas kritisiert. „Sie sind noch Kinder”, gibt er sich überlegen, „für mich sind es Armutschkerln.” Solche, die zwar über einen großen Wissensstand verfügen, in Dingen des praktischen Lebens aber unweigerlich zum Scheitern verurteilt zu sein scheinen. Mittelschüler hätten Probleme beim Ausfüllen eines Erlagscheines, heißt es aus den Direktionsräumen einer Berufsschule. „Sie sind weltfremd”, ist eine andere Ansicht. Und die oft belehrende, hochnäsige Art höherer Schüler wird von einem Lehrling als „vielleicht eine Unsicherheit” verstanden.

Hart ins Gericht gehen die diskussionsfreudigen, nachdenkenden Lehrlinge mit der Berufsschule. „Der Unterricht ist verblödend”, „Man wird abgefertigt wie ein Vieh”, „Die Lehrer haben oft keine Ahnung”, heißt es da.

Uber die Lehrlingsarbeit der Parteien haben jedoch sie alle keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, daß fast nichts getan wird. Von einem von der JVP gegründeten „Ring der Lehrlinge” wissen sie alle nichts. Und Thomas, nachdem er eine knallrote Zeitung der SJ über Lehrlinge sieht: „Was, des is die SPÖ? Na servas, dann net.”

Zur Statistik: In Österreich gibt es mehr Lehrlinge als höhere Schüler: 54.000 Schüler, die die Matura anstreben, stehen rund 192.000 jungen Menschen gegenüber; die einmal pro Woche in der Berufsschule sitzen und sonst als billige Arbeitskraft im Betrieb an der Drehbank stehen oder hinter dem Schreibtisch Zettel able- gen müssen (ein Lehrling: „Wer soli’s sonst machen?”).

Und die Lehrlinge gehen in immer zentralistischer werdende Berufsschulen: Gab es im Schuljahr 1923/24 431 Berufsschulen mit 1899 Klassen, waren es 1978/79 nur mehr 222 Schulen mit jedoch 6807 Klassen.

Auf dem Lehrlingssektor wird sich in den nächsten Jahren vermutlich noch einiges abspielen. Die Junge ÖVP wird besser informieren und die Jungsozialisten werden ihre jetzigen Methoclen umdenken müssen - bei der derzeitigen Gestaltung ihrer Zeitschrift „Hammer” „ist bei mir”, sagt ein angehender Tischler, „gleich der Papierkorb dran”.

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