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Eine Elite wandert ab

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Die „Stiftung Gillette“, die dringende wissenschaftliche Aufgaben finanziert, widmet sich in diesem Jahr vor alilem der Frage, wie sie die Rückkehr der mach den USA ausgewanderten argentinischen „Gehirne“ erreichen kann. Die Zahl der „Köpfe“, die in den letzten sieben Jahren aus Argentinien in die Vereinigten Staaten offiziell emigriert sind, wird mit 7000 angegeben. Wenn man industrielle Spezialkräfte mitzählt, erhöht sich diese Zahl auf das Doppelte. Ingenieure, Ärzte und Philologen stehen an der Spitze.

In den anderen . lateinamerikanischen Ländern ist die gleiche Entwicklung zu beobachten. So sollen

aus Chile in den letzten Jahren 2500 Akademiker abgewandert sein. Dabei handelt es sich nicht um den Wechsel des Wohnsitzes, wie er als normale Erscheinung zwischen allen zivilisierten Staaten der Welt zu beobachten ist. Zunächst betrifft diese Emigration nur einen bestimmten Kreis von Personen, der aber gerade für den Fortschritt der lateinamerikanischen Länder von ausschlaggebender Bedeutung ist. Als Beispiel wurde in der südamerikanischen Presse darauf hingewiesen, daß das „künstliche Herz“, mit dem in USA sensationellen Operationen gemacht werden, die der Argentinien-Emigrant Dr. Liotta erfand.

Chile fordert Ausbildungsrückzahlung

Die lateinamerikanischen Länder sind gerade deshalb „unterentwickelt“, weil bei ihnen Wissenschaft und Technik auf einem veralteten Niveau stehenbleiben und es an Kräften fehlt, die Entwicklungspläne entwerfen, vor allem aber ausführen. Dadurch daß die Spitzenkräfte der Wissenschaft, aber auch der Wirtschaft, emigrieren, vereiteln sie geradezu den Anschluß ihrer Länder an das Niveau der großen Industriestaaten. Es ist grotesk, daß sich die lateinamerikanischen Regierungen von den internationalen Organisationen Fachkräfte ausleihen, deren einheimische Kollegen ihr Land verlassen haben. Es ist auch unbillig, weil ihr Heimatland für die Ausbildung eines Akademikers an die 250.000 Schilling aufgewendet hat. Im chilenischen Parlament wurde deshalb ein Gesetzentwurf eingebracht, nach dem chilenische Ärzte oder Ingenieure bei ihrer Auswanderung ihrem Staat die Ausbildungskosten in Raten zurückerstatten sollen.

Die Gründe, die gerade die fähigsten Kräfte zum Verlassen ihres

Landes veranlassen, sind verschiedener Art. Für einen bestimmten Kreis von Wissenschaftlern, die sich mit Raumschiffahrt, Atomkraft, Raketenwesen oder Computern beschäftigen, gibt es keine Chance der angemessenen Ausbildung, wenn auch in Argentinien schon Raketen entwickelt werden. Noch geringer sind die Möglichkeiten zu wissenschaftlicher Forschung, weil Institute mit Apparaten auf nordamerikanischem Niveau fast ausnahmslos fehlen. Vor allem werden diese Spezialisten dazu verführt, ihre Ausbildung in den USA zu vollenden, weil sie in ihren Heimatstaaten keine entsprechenden Stellungen finden können.

Anders ist die Situation der Ärzte oder der industriellen Fachkräfte. Für sie wie für die Pädagogen sind die finanziellen Möglichkeiten entscheidend. Ein fähiger und gutausgebildeter Assistenzarzt beginnt seine Tätigkeit in den USA mit einem Monatseinkommen von 24.000 Schilling. In Argentinien bieten ihm Staat oder Stadt Hospitalstellungen mit einem Zehntel dieses Gehaltes,

auf das er möglicherweise noch Monate lang warten muß. Ähnliche Unterschiede zeigen sich im Lohnniveau der Facharbeiter. Die besten Kräfte wandern also aus, weil Ihre Ausbildungs- und ErwerbsmögMch-keiten in den USA ungleich besser sind als „zu Hause“.

Ergebnisloses Bemühen?

Die „Stiftung Gillette“ Ist sich über diese Situation klar. Sie veranstaltet jetzt eine Umfrage unter den nach den USA ausgewanderten Fachkräften, ob sie überhaupt in ihre Heimat zurückkehren wollen. Soweit sie diese Frage bejahen, will die Stiftung sich um „angemessene Posten“ bemühen und unter Umständen für die Unkosten der Rückreise aufkommen.

So begreiflich und begrüßenswert die lateinamerikanischen Bemünun-gen sind, ihre wertvollsten der verlorenen Söhne zurückzugewinnen, muß man freilich an dem Erfolg zweifeln. Denn zu den sonstigen kaum zu überwindenden Schwierigkeiten gesellt sich jetzt noch eine politische. Das Vorgehen der argentinischen Revolutionsregierung bei der Intervention gegen die Universitäten hat vor allem in der Fakultät für exakte Wissenschaften zu einer weiteren Massenabwanderung der Lehrkräfte geführt. Die Physiker sind in ihren ganzen „Teams“, den Studiengruppen, mit Professoren, Assistenten und Studenten auf nordamerikand-sche Universitäten umgezogen.

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