"Ein bisserl Angst ist schon gut“

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Schuldenstaaten die Rute des Hinauswurfes aus der EU ins Fenster zu stellen, hält der Philospoh und Konfliktforscher Gerhard Schwarz für durchaus heilsam.

Er eckt gerne an. Und zur Krise habe er ohnehin eine Sondermeinung, nimmt der Wiener Universitätsdozent für sich in Anspruch. "Ich glaube nicht an eine Euro-Krise, aber ich halte das Gerede von der Krise für gut, weil es den Leuten einen Dämpfer gibt. Eine Warnung, nicht über die Verhältnisse zu leben. Denn nur wenn man Ländern, die mit Geld nicht umgehen können, ernsthaft mit einem Ausschluss aus der Gemeinschaft droht, kann man Sparprogramme durchsetzen und sagen: Schaut’s endlich auf euer Geld! Investiert wertbeständig und sinnvoll, konsumiert.“

Schwarz sieht einer möglichen Euro-Abwertung gelassen entgegen. "Fällt der Kurs, profitiert die europäische Wirtschaft. Die Chinesen und Amerikaner betreiben Kursdumping durchaus zu ihrem Vorteil. Ich würde als Politiker auch so handeln.“ Der Euro könne ruhig in Krisen geredet werden. Außerdem hält Schwarz nach über dreißig Jahren Berufserfahrung in Gruppendynamik und Konfliktmanagement das Sich-Ängstigen für einen belebenen Thrill. "Ein bisserl Angst zu haben, ist schon gut. Angst gehört zum Leben dazu. Über Jahrmillionen hinweg haben wir unter Angst und Konkurrenzbedingungen gelebt. Die Domestikationserscheinungen zeigen sich nicht nur in Verfettung.“ Schwarz bezieht sich dabei durchaus auf die von Konrad Lorenz postulierte "Verhausschweinung“ des Menschen. Mit anderen Worten: Finanzkrisen übernehmen die Rolle des Hechts im Karpfenteich. Zurücklehnen und entspannt zusehen, wie sich das Geld vermehrt, war gestern. Heute: Nervenkitzel und das ständige auf der Hut sein als therapeutische Maßnahme und belebendes Amphetamin für den Homo oeconomicus.

Unerschütterlicher Glaube

Durchaus krisenresistent erweist sich bei den meisten Menschen auch der unerschütterliche Glaube an die selbstreferenzielle Deckung des Geldes. "Non aes, sed fies“, nicht Kupfer, sondern Glaube, lautete die Aufschrift alter Malteser Münzen, oder etwas freier übersetzt: Nicht der Wert des Geldstückes ist entscheidend, sondern das Vertrauen, das es repräsentiert. Wie Gott selbst, so scheint auch das Geld auf den Glauben der Menschen angewiesen. Denn gedeckt scheint das Geld lediglich durch den Glauben an sich selbst zu sein. Worauf aber stützt sich dieser Glaube der Investoren, ihr Geld besser hier als anderswo anzulegen? Kein Geldgeschäft wird ohne Glauben (=Vertrauen) an seinen guten Ausgang abgeschlossen. Der Glaube gilt als Fundament einer jeden Währung. Er stellt als gemeinschaftlicher Kodex die einzige Basis für den Geldwert dar. Ist also das Geld-Credo letztlich eine Vorspiegelung falscher Tatsachen? Es stimmt zumindest nachdenklich, sobald man sich vor Augen hält, dass die Einlösung allen Geldes in Gold, Land und welche Güter auch immer, selbst bei realer Deckung spätestens logistisch scheitern muss. Geld verweist somit nur auf eine Versprechung, die im Krisenfall schnell leer werden kann. Für Umberto Eco ist, semiotisch gesehen, ein gefälschter Geldschein mit einem echten identisch, solange der Schwindel nicht auffliegt.

Dass der Glaube an das Geld religiöse Züge annimmt, beschreibt auch Schwarz. "Alles strebt nach Geld so wie früher nach Gottes Gnade.“ Die Ökonomie habe die Funktion eines Leitsystems übernommen und Geld bestimme alle Vorgänge der Gesellschaft und des Lebens. In seinen Untersuchungen über die religiöse Aufladbarkeit des Geldes sieht sich Schwarz durchaus in der klassisch-philosophischen Denktradition. Für Friedrich Engels stand fest: "Jedes Ding kann dir Gott sein, du musst es ihm nur lange genug sagen.“ Marx indes analysiert religionspessimistisch: "Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen - und verwandelt sie in eine Ware“, weshalb das Geld zum "Gott unter den Waren“ werde. Am deutlichsten zeigt sich die Gott-Geld Konnotation in Georg Simmels "Philosophie des Geldes“. Geld wird darin zum "Gott des Kapitalismus“. Schwarz knüpft daran zeitgeistig spannend an.

Zunächst nimmt es Wunder, dass der Gottvergleich in einer offenen, säkularen und pluralen Gesellschaft überhaupt funktioniert. Immerhin ist der Begriff Gott für viele Menschen zu einer leeren Chiffre geworden. Wie also sinnvoll vergleichen? Schwarz ist der Auffassung, dass die Menschen unter einer Gottheit die zentralen Kommunikationssysteme verstehen, die an den Anfang gesetzt werden und die Geschichte umschreiben. Außerdem: "Jede Gesellschaft entwickelt Dinge, die ihr heilig sind. Das kann eine politische Partei sein oder ein materielles Gut.“ Dieser Zugang verweist auch auf Martin Luthers Auslegung des ersten Gebots: "Woran du dein Herz hängst, da ist dein Gott.“ Für viele ist das Geld zum Gott geworden, wobei schon Simmel gezeigt hat, dass die religiöse Aufladung des Geldes auf die Gefühlswelt des Menschen wirkt.

Erlösender Kult des Konsums

Auch für Schwarz steht fest, dass Heilsvorstellungen vom Geld ausgehen können, bis hin zu soteriologischen Empfindungen wie Beruhigung, Geborgenheit und Sicherheit. Gefühle wie Gier und libidinöse Beziehung zum Geld werden mitunter durchaus religiös wahrgenommen und zeigen jenen Fetischcharakter, von dem schon Marx sprach. Schwarz ist sicher: "Es gibt Leute, die erlöst sind, ohne davon zu wissen. Shopping im Konsumtempel kann als Erfüllung erlebt werden. Als kultische Handlung.“ Schon Walter Benjamin sprach angesichts der hell erleuchteten Pariser Kaufhauspassagen der 1920er-Jahre von einem nicht enden wollenden Geldkultus der Konsumreligion. Für Schwarz hat sich auch längst eine neue Priesterkaste etabliert: "Die Banker als Verwalter des Geldes. Ihre Tempel sind heute oft höher als die religiösen Bauten der Vergangenheit. Geld verleiht seinen Besitzern Autorität und Macht. Geld ist der neue Gott. Einer der nicht donnert wie der biblische Jahwe, sondern sich neutral verhält.“

Mit dieser Neutralität kann auch ein mögliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Gott und Geld herausgearbeitet werden. Die Parteilichkeit. Gott rettet jeden, der ihn annimmt. Geld rettet nur den, der hat, obwohl es viele gerne annehmen würden. Somit erscheint Geld gnadenlos vor der Deutefolie eines durchaus auch gnädigen Gottes.

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