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Gemeinderechtsref orm ?

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Das bestehende österreichische Gemeinderecht deckt sich im wesentlichen mit dem Grundgesetz vom 5. März 1862, ist also in seinen Grundzügen nahezu 100 Jahre alt. Weder das Bundesverfassungsgesetz vom Jahre 1920 noch die Verfassungsreform vom Jahre 1925 führten eine Aenderung durch. Es liegt also auf der Hand, daß es weder den geänderten staatlichen Verhältnissen mit ihrer verwickelten Relation von Bund, Ländern und Gemeinden noch den Grundsätzen einer modernen Kommunalpolitik und -Verwaltung entsprechen kann.

So erscheint eine Neuordnung dringend nötig.

Es ist ein Verdienst des Oesterreichischen Städtebundes, an diese schwierige Aufgabe herangegangen zu sein. In jahrelanger Arbeit eines von ihm gebildeten Ausschusses, der „Studienkommission für die Fortentwicklung des Gemeinderechts“, wurde der Entwurf einer Gemeindeverfassungsnovelle ausgearbeitet und im Anschluß an den 14. Oesterreichischen Städtetag im November 1958 der Oeffentlichkeit vorgelegt. Der Zweck dieser Novelle ist, „die provisorische Regelung dieses Bereiches des öffentlichen Lebens durch bleibende Normen zu ersetzen“ („Oesterreichische Gemeindezeitung“, Heft 1 2, 1959, S. 16).

Als roter Faden zieht sich durch den ganzen Entwurf das Bestreben, die Autonomie der Gemeinden zu stärken. Er wendet sich damit teils in Angriffs-, teils in Abwehrstellung nach zwei Seiten: nach oben hin gegen die aufsichts- behördlichen Befugnisse der Landesregierungen, (jach unten hin gegen die Rechte, deutlicher gejagt: gegen die Freiheit des einzelnen.

ln Artikel 18, Absatz 2, des Bundes-Verfas-

sungsgesetzes ist als wesentlichstes Element des Rechtsstaates festgelegt, daß jede Verwaltungsbehörde Verordnungen nur auf Grund der Gesetze erlassen kann. Die vom Oesterreichischen Städtebund ausgearbeitete Novelle besagt dagegen: „In behördlichen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches hat die Gemeinde auch das Recht, nach freier Selbstbestimmung selbständige Verordnungen (autonome Satzungen) zu erlassen sowie deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären. Solche Verordnungen dürfen nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen.“ Damit würde der Gemeinde ein umfassendes gesetzesvertretendes Verordnungsrecht zugesprochen. Voraussetzung einer Regelung durch die Gemeinde wäre lediglich, daß die betreffende Verordnung nicht gegen bestehende (Bundes- oder Landes-) Gesetze verstößt. Für die Praxis ist zu bedenken, daß die Gemeindefunktionäre also die bestehenden Gesetze genau kennen müßten, was, da sie in der Regel keine Juristen sind, in der großen Mehrzahl der Fälle nicht zutreffen wird. Die Folge wären Rechtswidrigkeiten am laufenden Band und, falls der einzelne Betroffene sich dagegen wehrte, eine weitere Ueberlastung des Verwal- tungs- und des Verfassungsgerichtshofes.

Aber davon abgesehen: Der wesentliche Zug der vörgeschlagenen Novellierung ist die Beschränkung der Bewegungsfreiheit des einzelnen zugunsten einer Vermehrung der Macht der Gemeinde. Der spärliche Raum, den die staatlichen Gesetze dem einzelnen lassen, soll dem kommunalen Zugriff erschlossen werden. Dies muß in einem Zeitalter, das die Gefahr des Kollektivismus und Absolutismus auch in den frei erscheinenden Staatsformen in sich trägt, bedenklich stimmen. Es lassen sich zweifellos auch andere Formen einer Neuregelung des Gemeinderechts finden, wenn man sich nur darum bemüht.

Gemeinderechtsreform: ja. Aber nicht auf Kosten der ohnedies nur noch bescheidenen persönlichen Freiheit des einzelnenl

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