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In der wilden Steppe

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Dem Vorschlag, den Wiederaufbau zerstörten Wohnraumes mit der Wiedereinführung des Wohnungseigentums zu verbinden, ist bisher der Nationalrat die Ausführung schuldig geblieben. Die Gründe, die für den Vorschlag sprachen, sind von erfahrenen Fachleuten der Wohnungswirtschaft dargelegt worden und haben nirgends eine ernstliche Widerlegung erfahren: Der Leitgedanke war, dem Wiederaufbau Sparkapital und Kreditfähigkeit aus der Mitte der Mieterschaft zur Verfügung zu stellen. In allen Fällen, in denen der Hauseigentümer des kriegsbeschädigten Gebäudes nicht aus eigener Kraft den Wiederaufbau innerhalb einer bestimmten Zeis in Angriff nehmen kann, soll es Wohnungssuchenden ermöglicht sein, an dem Wiederaufbau des Hauses durch die Übernahme der Aufbauquote für die beanspruchte Wohnung sich zu beteiligen und dafür das unkündbare und vererbliche Eigentumsrecht an dieser Wohnung zu erhalten. Allenfalls wären für die Wiederherstellung eines Hauses kleine Wohnbaugemeinschaften von künftigen Wohnungseigentümern zu bilden; nadi Maßgabe des von ihm beigesteuerten Wertes an Grundeigentum und Kapital würde der Besitzantei! des bisherigen Hauseigentümers zu bemessen sein. Ist er selbst zum Wiederaufbau imstande, so ist er nicht verpflichtet, Wohnungseigentum an Mieter abzugeben. Vermag er d;es aber nicht, so kann er nur gewinnen, wenn er Helfer findet, die ihm bei dem Wiederaufbau beistehen und ihm ermöglichen, aus der Ruine jenen Wert zu retten, der seinem Anteil entspricht.

Die Herstellung des Wohnungseigentums hat sich in Frankreich und namentlich in den Großstädten Italiens als starke Triebkraft für eine konstruktive Wohnbesdiaf- fungspolitik erwiesen und jederzeit ist es heute möglich, die erfolgreidien Ergebnisse nachzuprüfen und allenfalls Fehlern, die nirgends dem Wesen der Einrichtung entsprachen, von vornherein auszuweidien. Es ist völlig unerfindlich, warum bisher der Plan des Wohnungseigentums trotz einer kräftig vorgetragenen Initiative im Parlament versandet ist, es wäre denn, daß politische Eifersüchteleien einem gesetzgeberischen Unternehmen im Wege standen, das einen der schwersten sozialen Mißstände einzudämmen berufen wäre.

Von 50.C24 t e i 1 w e " s e beschädigten Häusern, die zuqj Beispiel Wien nach dem Kriege zählte, sind bis Ende 1947 nur 16.3 18 wiederhergestellt worden und in derselben Zeit von 100.430 nur leicht beschädigten nur 53.641; in dem noch stärker als Wien betroffenen Wiener Neustadt ist die Zahl der verbleibenden Halbruinen und Schäden noch viel größer. Hier wie dort nicht zu reden von den völlig zerstörten Wohnbauten, an die kein bisheriger Hauseigentümer sich herangewagt hat, wahrscheinlich nicht heranwagen konnte, weil ihm die Mittel' fehlten. In den übrigen Städten von Niederösterreich, in Steiermark und den westlichen Bundesländer ist durchschnittlich die Hälfte der teilweise zerstörten Wohnbauten wiederhergestellt und sogar ein Drittel der völlig zerstörten Bauten, eine Kategorie, die in Wien überhaupt keine ins Gewicht fallende Veränderung auf weist.

Urnendlich weiter könnten wir jedoch überall sein, wäre für den Wiederaufbau die aktive Anteilnahme der Mieterschaft durch die Übergabe des Wohnungseigentums für aktive Mitwirkung in Bewegung gesetzt worden. Daß dies bisher unterlassen wurde, hat zu parasitären Erscheinungen auf dem Wohnungsmarkt geführt.

Im Wiederaufbau zerstörter Wohnungen hat sich eine rücksichtslose Spekulation eingenistet. Zwischen Hauseigentümer und Mieter haben sich in vielen Fällen allerlei Baugesellschaften und Häuseragenturen eingeschaltet, die auf einem Grunde, der nicht ihnen gehört, die Hilflosigkeit des alten verarmten Hauseigentümers benützend, ihre eigenen Geschäft etabliert haben. Eine

B a u s pe k u 1 a t io n auf fremdem Grund. Hier wird Wahnsinn Methode.

Der Not der Wohnungssuchenden steht heute das Überangebot dersattsam bekannten „Aufbauwohnungen“

gegenüber. Den ersten Preissenkungen im Gefolge der Währungsreform ist es nicht gelungen, in die künstlich gestützten Überpreise der nach Bombenbeschädigung ausgebesserten sogenannten „§-3-Wohnungen“ entscheidend einzubrechen öffentlich hieten die Realkanzleien und anderen beru£smäßi- gen Vermittler im Inseratenwege zahlungskräftigen Wohnungswerbern an:

„Einzelraum 5000 S.

Zimmer. Kabinett, Küche, Vorzimmer, Bad, Speis 30.500 S.

2 Zimmer, Vorzimmer, Kochnische, Bad. Speis 25.100 S.

2 Zimmer, Küche, Vorzimmer, Bad, Speis 35 80C S.

2 Zimmer. Kabinett, Küche, Vorzimmer, Bad, Speis 35.000 S.

3 Zimmer, Küche, Vorzimmer, Bad, Speis 39 500 S.

4 Zimmer, Kabinett, Terrasse, Vorzimmer, Küche, Bad, Speis 63 000 S.“

Niemand prüft die Berechtigung dieser Preise Der Wohnungssuchende, der bisher vergeblich nach einem Heim Ausschau gehalten hat, zahlt schließlich und wenn er damit sein Letztes hergibt. Denn es ist leichter hungern, als kein sicheres Dach über dem Kopf haben. Aber nicht sosehr in diesen geforderten Preisen liegt das Unrecht, sondern darin, daß die so erworbene Mietwohnung ein zweites Mal bezahlt werden muß. Denn zu den einmaligen „Aufbaubeiträgen“ treten ih der Regel noch übermäßig hohe Mietzinse von monatlich bis 600 Schilling und sperren auch damit den gewöhnlichen Sterblichen weiterhin aus dem verlorenen Paradies.

Bei gesetzlicher Verankerung des Wohnungseigentums könnte dieses mit geringeren als den für ein zeitlich begrenztes Mietrecht verlangten Summen gesichert werden. In der Leere, welche die bisherige Gesetzes-

lücke offen läßt, gedeiht die Ausbeutung des Mieters in einem Maße, wie sie in Wien zur Zeit der Hochblüte des kapitalistischen Liberalismus, der Bodenspekulation und des Grundwuchers nicht verzeichnet wurde.

Berechnet man dann den Mietpreis nach dem verlangten unrückzahlbaren Kapitalsbeitrag und dem zuzüglichen hoben Mietzins, so ergeben sich Wohnungskosten, die keine redliche Existenz auf die Dauer tragen kann.

Will die Gesetzgebung noch länger schweigen? Aus der wilden Steppe des großstädtischen Wohnungsmarktes tönt ein kleines ärmliches Inserat in einem Wiener Blatt wie ein Schrei:

„Wenigstens Wohnrantn mit Kochgelegenheit sucht hochanständige Familie mit drei kleinen Kindern. Auch nähere Umgebung. Zuschriften erbittet...

Hüben die Hausse in §-3-Wohnungen und Leerräumen zu provozierenden Schwarzhandelspreisen, drüben die verzweifelten Bitten Obdachloser und Raumbedrängter mit Familie und Kindern, „wenigstens Wohn raum mit Kochgelegenheit", auch am Rande der Stadt, zu finden. Der Zustand bedarf dringend der „Generalreparatur“.

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