„Wir haben uns zu sehr zurückgezogen“

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P. Erhard Rauch, Generalsekretär der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs, über die Missbrauchsfälle in Klöstern, psychologische Gutachten von Eintrittswilligen und die Zukunft der Orden insgesamt.

Seit Publikwerden zahlreicher Missbrauchsfälle in katholischen Internaten stehen Österreichs Klöster in der öffentlichen Debatte unter Generalverdacht. Im FURCHE-Interview spricht P. Erhard Rauch, Generalsekretär der Superiorenkonferenz, über die Vorwürfe und nötige Reformen.

Die Furche: Bei den jüngsten Missbrauchs-Meldungen waren meist Klöster Schauplatz des Geschehens. Wie gehen Sie mit dieser Tatsache um?

P. Erhard Rauch: Bei uns liegen die Nerven blank, in so geballter Form haben wir uns das nie vorstellen können. Natürlich beginnt man jetzt nachzudenken, was diese Entwicklung begünstigt haben könnte. Ist es wirklich das System Kloster oder sind es andere Ursachen? Tatsache ist, dass vielfach geschlossene Systeme entstanden sind, die sich von außen abgeschottet haben und wo es Tendenzen gegeben hat, zu sagen: Wir sind wir. In der Struktur der Klöster hat sich aber viel gewandelt: Früher waren die großen Stifte fast wie eine Stadt für sich mit großer Infrastruktur. Heute sind diese großen Stifte mit weniger Leuten besetzt, die vielfach Aufgaben außerhalb des Stiftes wahrzunehmen haben. Wir haben vermehrt Laienmitarbeiter einstellen müssen, was meist auch von Vorteil war. Zugleich hat man von außen den Eindruck gewonnen: Die ziehen sich zurück. Dadurch kam es oft zu Selbstmitleid – und die Kraft, Neues zu beginnen, nach außen zu gehen, ist geschwunden.

Die Furche: Inwiefern hat sich die Praxis bei der Auswahl von Interessenten verändert?

Rauch: Wir haben in den letzten Jahren viel mehr auf das Profil der Leute geachtet, die eintreten. Bei einer großen Masse hat man noch Leute mitziehen können, die in ihrer Persönlichkeitsstruktur defizitär waren. Das geht heute nicht mehr. Jetzt haben wir strenge Richtlinien – auch, was die Ausbildung der Ausbildner betrifft.

Die Furche: Inwiefern?

Rauch: Die Novizenmeister haben eine Lebensbegleiterausbildung oder therapeutische Ausbildung. Wir arbeiten auch mit psychologischen Gutachten: Bei uns im Salvatorianer-Orden ist klar, dass jemand, der eintritt, ein Persönlichkeitsprofil eines Psychologen mitbringen muss. Auch bei den anderen Orden gibt es diese Empfehlung. In der Zeit des Nachwuchsmangels ist man zwar versucht, über manches hinwegzusehen. Aber Defizite, die beim Eintritt da sind, verschwinden nicht, sondern werden eher größer.

Die Furche: Wie wird heute bei Novizen das Thema Sexualität behandelt?

Rauch: Jeder, der bei uns ausgebildet wird, hat einen geistlichen Begleiter, der auch aus einem anderen Orden sein kann und der dieses Thema klar anspricht. Menschen, die ins Kloster eintreten, sind ja nicht Asexuelle. Sie müssen mit ihrem natürlichen Trieb umgehen lernen, ihre sexuelle Energie sublimieren, wie das Fachwort heißt. Das schafft man nur, wenn einem etwas anderes mehr wert ist. Diese Frage müssen wir uns aber immer stellen: Warum tun wir das, was wir tun? Wenn wir diese Frage nicht beantworten können, wird alles verkrampft oder zur bloßen Durchhalteparole. Grundsätzlich ist es im Orden so, dass man in einer größeren Lebensgemeinschaft lebt, man ist also nicht allein oder single. Darin besteht der Unterschied zu Diözesanklerikern. Die Frage ist: Kann ich mich dieser Gemeinschaft in gewisser Form verpflichten? Immerhin hat man eine Vorbereitungszeit von fünf, sechs Jahren, bis man für immer Ja sagen kann.

Die Furche: Inwiefern macht die Ordens-hierarchie die Klöster missbrauchsanfällig?

Rauch: Früher war die Gesellschaft insgesamt wesentlich hierarchischer als heute. Und in geschlossenen Systemen war die Hierarchie natürlich noch verstärkt. Doch heute kann man in Klöstern nur noch schwer von Hierarchie sprechen: Niemand wäre anordnungsberechtigt, wenn jemand nicht will. Diese Zeiten sind vorbei. Unser Problem ist eher, dass wir diesen Transfer zu wenig schaffen: Was bedeutet die klösterliche Gründungsidee in unserer Zeit – einer Zeit, die geprägt ist von Demokratie und von Mehrheitsverhältnissen, wobei die Mehrheit nicht immer recht hat.

Die Furche: Sollte die klösterliche Gründungsidee modifiziert werden?

Rauch: Nein, aber wir müssen sie anders umsetzen. Früher hat ein Kloster, das von der Bildungsidee geprägt war, eine Schule gebaut. Heute glaubt man, diese Idee zu verlieren, wenn man die Schule aufgeben muss. Doch das stimmt nicht: Wir gehen viel zu sehr davon aus, dass wir alles selber machen müssen. Wir sollten uns besser fragen: Wo werden diese Dinge schon angeboten – und wo sind wir dabei? Wo sind Ordensleute dabei, wenn es um ethische Geldanlage, die Asyldebatte ober das Thema Armut geht? Wir müssen das alles nicht selber machen, aber wir müssen dabei sein. Hier haben wir uns wohl zu sehr zurückgezogen.

* Das Gespräch führte Doris Helmberger

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