Dieser Tage erhielt ich den Telefonanruf einer Studentin aus Salzburg, der mir sehr zu denken gab: Ich lebe jetzt in Wien, suche Anschluss in einer religiösen Gemeinschaft, habe einen solchen auch schon gefunden, aber er entspricht nicht völlig meinen Erwartungen. Was würden Sie mir empfehlen?
Sie fühlt sich in einer Gemeinschaft junger Menschen, die viel beten und singen, freundlich aufgenommen und beheimatet. "Aber das kann ja nicht die ganze Kirche sein." Wenn sie irgend eine kritische Meinung zur Kirchenleitung äußert, wenn der Papst einmal nicht nur bejubelt wird, spürt sie sofort die innere Ablehnung. Hier ist widerspruchslose Unterwerfung gewünscht.
Natürlich gibt es auch kritische Gruppen. Die aber wollen wieder fast nur parlieren, diskutieren, agitieren und kritisieren. "Ich aber suche durchaus auch das Erlebnis einer Gemeinschaft, in der ich mich bei Singen und Beten, Tanzen und Fröhlich-Sein, Diskurs und Geplauder rundum wohl fühlen kann ..."
Wir gingen alle möglichen Gruppierungen durch und es stellte sich heraus, dass sie so gut wie alle schon ausprobiert hatte. Keine sagt ihr in ihrer Ausschließlichkeit zu: Entweder wird nur das eine oder nur das andere geboten, nur das eine oder nur das andere für wichtig erachtet. Was tut man, wenn man das eine wie das andere sucht und schätzt, sich als ganzer Mensch und ganzer Christ in einer kirchlichen Gemeinschaft wiederfinden möchte?
Wo Mischung der Themen zu finden ist, ist Mischung der Altersgruppen selten: Veteranen der Katholischen Jugend von einst tauschen Erinnerungen an bessere Zeiten aus. War alles falsch, was sie gemacht hatten? Interessiert niemanden mehr das Leben, für das sie dereinst mit frohen Bekenntnisliedern auf den Lippen ("Christus, mein König, dir allein ...") durch Straßen und Wiesen gezogen waren? Muss das notwendige Neue, das Zeitgemäßere, so einseitig und eindimensional sein?
Ich grüble und schäme mich, dass ich keine zufriedenstellenden Antworten weiß. Den versprochenen Rückruf bin ich noch immer schuldig. Kann ihn jemand für mich übernehmen?
Hubert Feichtlbauer ist freier Publizist und Vorsitzender der Plattform "Wir sind Kirche".
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