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Anschauungsunterricht in gelebter Ökumene

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Im Bahmen meiner Psychiatrieausbildung unter Professor Hans Hoffan der Psychatrisch-Neuro-logischen Universitätsklinik Wien ging ich 1957 an die Kantonale Psy-chatrische Klinik St. Urban im Kanton Luzern, um ein Jahr lang die Schweizer Psychiatrie kennenzulernen. Es gefiel mir in dem ehemaligen Zisterzienserkloster so gut, daß ich sechs Jahre dort blieb. 1848 waren in der Schweiz alle Klöster aufgehoben worden und daher wurden, als in den folgenden Jahrzehnten Psychiatrische Kliniken gegründet wurden, in mehreren Kantonen derartige Anstalten in ehemaligen Klöstern eingerichtet. 1994 wurde das 600jährige Bestehen des Zisterzienserklosters St. Urban feierlich gewürdigt. In St. Urban lernte ich auch erstmals die starke ökumenische Bewegung der Schweiz kennen, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, daß beide christlichen Hauptkonfessionen stark vertreten sind und daher auch sehr viele konfessionelle Mischehen diese Einstellung fördern. Durch meine wissenschaftliche Tätigkeit fiel ich dem Vorstand der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel auf, der mich zunächst zu Vorträgen einlud und mir später eine Oberarztstelle mit der Möglichkeit, mich zu habilitieren, anbot. Nachdem ich elf Jahre als Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Wil im Kanton St. Gallen tätig war, wurde ich 1985 als Klinikvorstand und Nachfolger von Prof. Paul Kielholz nach Basel gewählt, welches Amt ich bis zu meiner Emeritierung innehatte.

An,der Basler Klinik erlebte ich die Ökumene besonders nahe. 1974 hatten beide Kirchen ein ökumenisches Zentrum errichtet, das nicht nur zum religiösen, sondern auch zum kulturellen Zentrum der Klinik wurde. In einem eigenen Andachtsraum mit dem Titel „Baum der Stille” habe ich mit so manchem Patienten wichtige Gespräche im Grenzbereich zwischen Medizin und Beli-gion geführt. Mit beiden Pfarrern verbindet mich eine tiefe Freundschaft.

Das 20 Jahre-Jubiläum wurde mit einem ökumenischen Gottesdienst -wie bei uns üblich mit gemeinsamem Abendmahl - gefeiert. Ich war als Klinikchef eingeladen, eine Bede zu halten. Vorher, auf der Visite, hatte ich eine Patientin, die wegen Panik-Attacken den Schutz der Klinik aufgesucht hatte, eingeladen, doch zum Gottesdienst zu kommen. Sie antwortete mir, daß sie dies von Herzen gerne tun würde, aber sie könne es nicht tun, denn leider sei sie unter dem Einfluß ihres verstorbenen Mannes aus der reformierten Kirche ausgetreten. Ich sagte ihr, daß ich als Katholik zwar nicht für die reformierte Kirche sprechen könne, aber sie sei sicher willkommen. Bei meiner Festansprache erwähnte ich dieses Erlebnis und begrüßte die Patientin anonym in unserer Mitte. In einer anschließenden Ansprache versicherte mir die zuständige Superintendentin, daß ich sehr wohl im Namen der Beformierten Kirche gesprochen hätte, und begrüßte ebenfalls die unbekannte Patientin, die schon in den nächsten Tagen wieder in die Kirche eintrat. Zu meinem Abschied als Klinikchef lud mich der reformierte Pfarrer ein, in einem reformierten Gottesdienst eine Laienpredigt zu halten, welche Einladung ich im Sinne der Ökumene besonders gerne annahm. Meine Frau und ich fühlten uns in diesem ökumenischen Zentrum so wohl, daß wir im Kreise der Patienten auch unsere silberne Hochzeit im Bahmen eines ökumenischen Gottesdienstes feierten.

In der Schweiz ist es üblich, daß am „Tag der Kranken” in den katholischen Kirchen den Gläubigen das Sakrament der Krankensalbung gespendet wird. In einer katholischen Basler Kirche spendeten 1994 dieses Sakrament der katholische Pfarrer, der reformierte Pfarrer und eine katholische Ordensfrau und Krankenschwester. Es sind dies Erlebnisse, die mich sehr geprägt und mich in meiner ökumenischen Einstellung sehr bestärkt haben.

In einer Schweizer Fernsehdiskussion, nach dem Bücktritt des Basler Bischofs Vogel, der Vater wird, erklärte der Sekretär der Schweizer Bischofskonferenz, daß die beiden Kirchen seit der Beformation - die ja Martin Luther als innerkirchliche Beformation gewollt hatte - nicht mehr so viel trenne. Die Heilige Schrift habe in den beiden Kirchen wieder die gleiche Bedeutung. Die Landessprache beim Gottesdienst sei üblich, es gäbe auch in der katholischen Kirche den Laienkelch. Der Zölibat sei schließlich auch keine Glaubensfrage - bis ins 12. Jahrhundert konnten Priester ja heiraten. Am Pfingstmontag wurde der neue Bischof von St. Gallen in sein Amt eingeführt. Der Andrang der Gläubigen war so groß, daß der Festgottesdienst via Bildschirm in die reformierte Kirche übertragen wurde. Neben den Vertretern der Beformierten Kirche nahm auch der zuständige Oberrabbiner an der kirchlichen Feier teil. Gelebte Ökumene.

Ich habe in unserem Nachbarland viel gelernt und habe diesem Land viel zu verdanken, vor allem aber auch den Anschauungsunterricht in gelebter Ökumene. Ich freue mich, daß mir Kardinal König gerne und sehr interessiert zugehört hat, wenn ich ihm über diese Erfahrungen berichten durfte. Ich möchte ihm da-” her diese Zeilen zu seinem 90. Geburtstag in Dankbarkeit für seine Bemühungen für eine Zusammenarbeit der Weltkirchen im Sinne^ei-ner Ökumene der Weltreligionen widmen.

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