Pesach: Das Fest der Freiheit

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Seit alters her erzählen die Juden beim Pesach-Fest von den Taten Gottes. Sie erinnern so an sein Versprechen, eine olam chessed, eine Welt der Liebe, zu bauen.

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Seit alters her erzählen die Juden beim Pesach-Fest von den Taten Gottes. Sie erinnern so an sein Versprechen, eine olam chessed, eine Welt der Liebe, zu bauen.

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Die Bibel ist ein religiöses Buch in doppeltem Sinn: Es hält die Erfahrungen zwischen Gott und Mensch fest, insbesondere das Verhältnis des Gottes Israels zu seinem Volk. Gleichzeitig beschreibt es, wie dieses Verhältnis in einer bestimmten Epoche der Geschichte verstanden wurde. Die Kreatur in der Suche nach und in der Antwort auf den Schöpfer; der Schöpfer in der Suche nach und in der Antwort auf seine Kreatur: Dies sind die ewig wiederkehrenden Themen der Bibel. Die Worte und Namen, die für diese Erfahrung gewählt werden, sind aber nie identisch mit der Erfahrung selbst. Die Erfahrungen an sich bleiben stumm aus Ehrfurcht vor der Begegnung mit Gott.

Der Text der Bibel ist nicht ohnmächtig gegenüber dieser Begegnung, jedoch wählt der Schreiber bewusst und absichtsvoll diesen Weg. Er gestaltet mit der Schrift eine Art Leiter zwischen Mensch und Gott und weiß dabei, dass es eben nicht die Stufen dieser Leiter sind, die das Auf und Ab bestimmen und ermöglichen. Es sind die Abstände zwischen diesen Stufen, die den Weg bestimmen, ihm gleichsam im Schweigen eine Stimme geben. Jede Begegnung mit einem religiösen Text muss diese Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne, das Anwesende und Abwesende, die Fülle und die Leere miteinbeziehen.

Zwischen den Zeilen lesen Das Bild der Jakobsleiter im Buch Genesis (Gen 28) verdeutlicht dies: In einem Traum sieht Jakob eine Treppe zwischen Himmel und Erde, auf der Engel auf- und niedersteigen. Will man - anhand dieses biblischen Bildes - das Verhältnis zum konkreten Text und zu den religiösen Erfahrungen verstehen, so heißt das: Die Leerstellen zwischen den Stufen der Jakobsleiter müssen entdeckt werden. Oder, in der Sprache einer alten jüdischen Redeweise, "Die Tora wurde geschrieben schwarzes Feuer auf weißes Feuer": Das schwarze Feuer sind die Buchstaben der Tora, die es uns ermöglichen, sie zu lesen - sie sind aber zugleich nur Rahmen für die ausfüllenden Zwischenräume.

In der jüdischen Tradition geht es aber nicht nur darum, die Leere im Text mit einer Lehre zu füllen, sondern auch darum, der "Zwischenzeit" zwischen Schöpfung und Erlösung als geschichtliche Wirklichkeit inhaltlich eine Bedeutung zu geben. Die Heilige Schrift wurde aufgeschrieben und jede Rolle und jeder Satz, ja jeder Buchstabe sorgfältig darin eingebettet. Wie wir im Buch Deuteronomium lesen, war die Bibel für das jüdische Volk "das Erbe der Gemeinde Jakobs" (Dtn 33,4). Die Heilige Schrift als Erbe zu begreifen heißt, die Gemeinde als ein Glied in der Kette der Tradition zu sehen.

Wer nichts zu erzählen hat, bleibt ewig Sklave Die Pesach-Haggada, die Erzählung vom Auszug Israels aus Ägypten, ist das klassische Beispiel dafür, wie in der jüdischen Tradition jeder Einzelne durch die Tatsache des Erzählens in diesen Prozess eingebunden ist. Die Erzählung der historischen Ereignisse rückt die Vergangenheit in die Gegenwart und gewinnt dadurch eine Bedeutung für die Zukunft. Das bedeutet zweierlei: Einerseits wird die Gegenwart mit der Vergangenheit verbunden und so als eine wirkliche Erfahrung erlebt, und andererseits wird die Gegenwart als Ewigkeit erlebt, die in jedem Augenblick wieder Gegenwart des Erzählers werden kann.

In der Pesach-Haggada, die in jeder jüdischen Familie beim Sederabend des Pesachfestes vorgetragen wird, heißt es: "Einst waren wir Sklaven des Pharaos in Ägypten, aber der Ewige, unser Gott, führte uns von da heraus mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. Hätte der Heilige, gelobt sei Er, unsere Väter nicht aus Ägypten geführt, so wären wir, unsere Kinder und Kindeskinder für ewig Sklaven Pharaos in Ägypten geblieben. Und sogar wenn wir alle Weise sind, alle vernünftig und alle erfahren, alle Kenner der Tora, haben wir dennoch die Aufgabe, die Geschichte im Auszug aus Ägypten zu erzählen. Und wer am meisten davon zu erzählen hat, ist lobenswert."

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