Der Weg der Worte zum Unsagbaren

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"Es ist, als wäre der Koran insgesamt ein Garten und jede einzelne Sure ein Tor zu ihm.“ So schwärmt der syrische Dichter Adonis von der Ästhetik des Korans. Es sei denn auch die Form, die Sprache des Korans gewesen, die die arabische Welt so sehr erstaunte. So neu, so anders war sie. Und deshalb erzählen Bekehrungsgeschichten, wie Menschen damals vom Hören der Suren, von der Schönheit der Worte überwältigt waren. "Was sie verzauberte, war die Ästhetik und die künstlerische Kraft seiner Sprache.“

Literaturwissenschaftlich zu beschreiben, wie der Koran denn nun konstruiert ist, um so eine Wirkung auslösen zu können, gestaltet sich als schwierig. Der Philologe al-Djurdjani versuchte es mit der Bezeichnung "nazm“ ("Anordnung“, "Perlenschnur“, "geordnete Rede“), um damit auszudrücken, dass die Wörter so aneinandergereiht sind, dass sie perfekt zueinander passen, so miteinander verwoben, dass ihr Sinn mit den Worten davor und danach korreliert. Für die Beschreibung des Korans greift der Lyriker Adonis daher auf poetische Bilder zurück: Er sieht ihn als "Garten, den wir von jedem beliebigen Ort und von jeder beliebigen Richtung aus betreten können.“

Teppich aus Wörtern

In den einzelnen Suren verschmelzen unterschiedliche literarische Formen wie Predigt, Gleichnis, Gesang, Dialog, Erzählung und Gebet, aber auch die reale Welt und die "Welt der Übersinnlichen“, zu einem kontinuierlichen Gewebe ohne Punkte, Kommata und Klammern. "Wir können die Sure mit einem prunkvollen, aus Wörtern gewebten Teppich oder einem Gemälde vergleichen, in dem die Linien, Formen und Farben aus einer Vielfalt von miteinander verflochtenen Wörtern bestehen. Die Lücken zwischen den Versen sind die formgebenden Elemente jenes Teppichs, und die Pausenzeichen, welche die einzelnen Verse voneinander trennen, sind gewissermaßen sein Stickmuster. Auch die fehlende Vokalisierung der Versenden beim Rezitieren ist fester Bestandteil des Textgefüges, sie erfüllt die Funktion eines Pausenzeichens zwischen den Versen.“ Aufgrund der großen Musikalität der Suren helfe nicht das Denken "bei der Rezeption dieser Musik, sondern das Empfinden und der Geschmack.“

Mit dem Koran war ein Text aufgetaucht, der sich den Kategorien und Etiketten entzog. Dieser Text war Prosa, aber doch nicht richtig, Dichtung, aber doch nicht richtig. Die Offenheit des Korans, die seine Ästhetik bewirkt, werde, so Adonis, durch vorherrschende Lesarten allerdings beschränkt. Wenn es um Rechtsvorschriften und politische Herrschaft geht, wenn die obersten Kriterien das Festhalten an der Scharia und die Unterwerfung unter ihre Vorschriften sind, werde der islamische Erkenntnishorizont verwischt und seine Vision von der Welt und vom Menschen eingeengt.

Eine Weitung erfährt der Koran demgegenüber durch den - stets der Häresie verdächtigten - Ansatz der Sufis. "Der Sufismus versteht und interpretiert den religiösen Text auf eine Weise, die sich fundamental von einem exoterisch-dogmatischen Verständnis unterscheidet.“ Das brachte ihm denn auch stets den Vorwurf ein, man ließe sich von Geschmack und Leidenschaften leiten und die Normen außer acht.

Sprache der Andeutung

In einem eigenen Beitrag über die Verwandtschaft von "Sufismus und Surrealismus“ erläutert Adonis sein Verständnis des Sufismus. Der Sufi sieht den Menschen als Ebenbild Gottes, der die Wahrheit Gottes in sich selbst sucht. "Dreh- und Angelpunkt des Sufismus, so wie ich ihn verstehe, ist das Ungesagte, das Unsichtbare, das Unbekannte. Für den Sufi ist das letztendliche Ziel, eins zu werden mit jenem Verborgenen, also anders gesagt, mit dem Absoluten.“ Die göttliche Sprache entzieht sich dem Menschen, die menschliche ist hör- und sichtbar - deshalb ist das Schreiben immer von existenzieller Bedeutung und die "mystische Erfahrung ist im Kontext der arabischen Sprache nicht nur eine Erfahrung der Schau, sondern auch und vielleicht vor allem eine Erfahrung des Schreibens. Sie ist eine Schau, die durch die Dichtung ausgedrückt wird, sei es Prosa oder metrische Poesie, durch eine poetische Sprache, die zur Sprache der theoretischen Untersuchung und des Kommentars hinzutritt.“

"Die Sufis benutzten für ihre sprachliche Auseinandersetzung mit Gott, der Exis-tenz und dem Menschen bestimmte künstlerische Mittel: Form, Stil, Symbol, Metapher, Bild, Metrum und Reim. Auf diese Weise kommt der Leser in den Genuss ihrer Erfahrungen und kann sich diese in all ihren Dimensionen erschließen. Einem Leser jedoch, der Zutritt zu ihnen über die äußere Ausdrucksform sucht, wird dies nur schwer gelingen. Anders gesagt: Es ist nicht möglich, sich der Welt der mystischen Erfahrungen allein über deren Ausdrucksebene zu nähern. Die Andeutung, nicht der Ausdruck, ist deren Haupteingangspforte.“

Die Sprache der Sufis ist poetisch, alles ist in ihr symbolisch, hat eine wörtliche Bedeutung, verweist aber immer auch auf etwas anderes. Die Rede von einer Geliebten etwa kann sich auf eine Geliebte, auf eine Rose, auf Wein, Wasser oder Gott beziehen. Der Sufismus spricht in Bildern, denn: "Das Unbegrenzte lässt sich eigentlich nur durch das Unbegrenzte ausdrücken.“

Ein solcher Diskurs der Andeutungen und Symbole beansprucht keine dogmatische Wahrheit. Eine solche Sprache versteht sich nicht als Sprache des Verstehens, des Wertens, sondern als eine Sprache der Liebe. "Auch die Liebe lässt sich ja nicht benennen, sondern nur erleben. Benennen lassen sich nur Bilder von ihr.“

Dichtung erweitert

Man kann die Dichtung als Versuch des Menschen, das Unaussprechliche mittels Metaphern und Symbolen auszusprechen, nicht erschöpfend und endgültig verstehen oder erklären. Auf seiner Suche hat der Sufismus kreativ die Grenzen der Dichtung erweitert. Durch dieses Schreiben hätte sich das Verständnis von Dichtung wandeln können, meint Adonis. "Doch dazu kam es nicht. Die Sufi-Literatur sollte über ein Jahrtausend lang warten müssen, um ein wenngleich noch kleines Publikum zu finden, das sich dafür einsetzt, sie auf eine neue Art zu lesen und zu verstehen.“

Adonis zeigt auf, dass der Sufismus dabei in vielem dem Surrealismus ähnlich ist, "dass die Existenz über eine verborgene, unsichtbare, unbekannte Dimension verfügt, dass deren Kenntnis nicht mit logisch-rationalen Methoden erlangt werden kann, dass der Mensch ohne jene Dimension und ohne den Versuch, zu ihr vorzudringen, ein Wesen ist, dem es an existenzieller Substanz und Erkenntnis fehlt, dass die Wege dorthin spezifisch und individuell sind und dass wir daher Verwandtschaftsbeziehungen und Übereinstimmungen finden, die jenes Übersinnliche zu schauen trachten, darunter insbesondere Sufismus und Surrealismus.“

Wortgesang

Von der Dichtung zur Revolution. Hg. und mit einem Vorwort von Stefan Weidner. Aus dem Arab. von Rafael Sanchez. S. Fischer 2013.

298 Seiten, gebunden, e 23,70

Die Autoren

Der Autor:

SAID

SAID wurde 1947 in Teheran geboren und kam 1965 als Student nach München. 1979 betrat er wieder iranischen Boden, sah aber unter dem Regime der Mullahs keine Möglichkeit, in seiner Heimat zu bleiben. Seither lebt er wieder im deutschen Exil. SAID war von 2000-2002 Präsident des deutschen Pen-Clubs.

Die Bücher:

Psalmen und mehr

SAID veröffentlichte Gedichte, Prosa, Essays und Kinderbücher, u. a. "sei nacht zu mir“, "außenhaut binnenträume“, "psalmen“, "ruf zurück die vögel“, "das rot lächelt, das blau schweigt. geschichten über bilder“, "der engel und die taube“. Zuletzt erschien "parlando mit le phung“ (steidl 2013).

Der Autor:

Adonis

Adonis wurde 1930 als Ali Ahmad Said Esber in Syrien geboren und studierte in Damaskus Philosophie.Wegen politischer Aktivitäten musste er elf Monate ins Gefängnis. Ab 1956 lebte und schrieb der Lyriker in Beirut, 1980 emigrierte er nach Paris. Er gilt seit Jahren als Kandidat für den Nobelpreis für Literatur.

Die Bücher:

Wortgesänge

"Wortgesang“ versammelt Essays über die arabische Poetik, Sufismus und Surrealismus, den Koran, Sprache und Identität, Text und Wahrheit. Adonis’ Gedichte "Verwandlungen eines Liebenden“ erschienen 2011 bei S. Fischer, die Liebesgedichte "Der Wald der Liebe in uns“ 2013 bei Jung und Jung.

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