Schwarzes Kirchen-Bild

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Vor kurzem wurde ein - bereits 2003 in Italien publizierter - "Schlussbericht" des ehemaligen (1976-1985) Apostolischen Nuntius in Österreich, Mario Cagna, auch hierzulande bekannt. Roberto Talotta fasst wesentliche Aussagen des Dokuments zusammen.

Der Bericht aus dem Jahr 1985 an den damaligen Kardinal-Staatssekretär Agostino Casaroli beginnt mit einer Relativierung: "Wenn man sich ein Gesamtbild über die Kirche in Österreich machen will, riskiert man laute - und vorwiegend negative - Elemente in den Vordergrund zu rücken und alles oder fast alles Gute im Schatten zu belassen - still, versteckt und zuweilen leidend. [...] Das Schlimme liegt teilweise in den Sozialstrukturen und Gesetzen, die der politische Laizismus seit langem betreibt (Aufklärung', zeitgenössischer Sozialismus) und der die in diesem Land auf großer Tradition beruhenden christlichen Werte zersetzt. [...] Dieses Land bar jeglichen Extremismus' und von Gewalt durchsetzten Protesten, das Paul VI. einst als Insel der Seligen' bezeichnete, weist eine hohe Selbstmordrate auf. Die Zahl der Abtreibungen steigt (eine Million von 1975 bis heute), ebenso der Konsum an Antidepressiva. Es ist nicht leicht, in die österreichische Seele zu blicken, die geteilt ist zwischen einem barocken Katholizismus und einem müden Skeptizismus, epikureisch und fatalistisch zugleich."

Barock und skeptisch

Cagna kritisiert die Kirchenaustritte und erwähnt den Kirchenbeitrag als Vorwand. "Der österreichische Episkopat ist gut", schreibt er. Die Bischöfe seien nicht verpolitisiert, ehrlich, strebsam. Aber manchmal auch zu vorsichtig, ängstlich gegenüber Theologen, Pastoralgremien, Journalisten und der öffentlichen Meinung, sodass sie selten Stellung bezögen.

Kein gutes Haar lässt der Bericht an den Laien: "In jedem Eck der katholischen Gemeinschaft kommt es zu Sitzungen und Diskussionen, die Zeit verschwendet, anstatt zu agieren und zu beten. Es wird auseinander dividiert anstatt die Einheit zum Keimen zu bringen. Die meisten dieser Laien an führender Stelle werden vom Wiener Weihbischof H. Krätzl unterstützt, sie sind alle ideologisch subversiv, gegen hierarchische Strukturen und zu offen nach allen Richtungen."

Theologische Fakultäten: "Jene in Wien, Salzburg, Graz, Innsbruck und in Linz, obwohl ohne Aufsehen erregende Radikalpositionen, [...] eröffnen ein hinterfragungswürdiges Bild. Es wird eine profillose, rückgratfreie Theologie gelehrt. [...] Besorgnis erregend vor allem der Unterricht der Moraltheologie (in Innsbruck P. Hans Rotter SJ, in Linz Alfons Riedl, in Salzburg Günter Virt), die immer mehr im Gegensatz zur kirchlichen Lehre steht, also relativistisch, subjektiv, konsequentialistisch. Man begreift nicht, wie die Bischöfe dies zulassen können, die sich daraufhin über die von ihnen bestellten Professoren beschweren, um sich schließlich gar von ihnen beeinflussen zu lassen." Kritisiert werden Pastoraltheologe Paul M. Zulehner ("ein 100-prozentiger Soziologe") und der Salzburger Liturgiker Franz Nikolasch. In Wien sollte Andreas Laun Moraltheologie lehren, aber der sei dem amtierenden Kardinal (König, Anm.) "troppo romano", zu römisch.

Thema Theologiestudenten: "Der Boom an Theologiestudenten, die nicht Priester werden wollen, und Frauen - seit Jahren von den Kirchenoberen gefördert - erweist sich nun als negativer Bumerang. Diese Menschen polemisieren gegen die Kirche. Ihre liberale Art zu denken und zu leben schafft eine schädliche Atmosphäre für Seminaristen, bei Religionslehrern und sogar in den Pfarren, wo sie als Pastoralassistenten tätig sind. Sogar Weihbischof H. Krätzl betont, dass diese Theologen eine innere Gefahr für die Kirche darstellen. Ein gutes Ambiente hingegen [...] bieten die Zisterzienser in Heiligenkreuz, in der Nähe Wiens."

Kirchenpresse oppositionell

Thema Medien: "Das österreichische Radio und Fernsehen (staatlich!) überträgt Gottesdienste und Meditationen. Die sind in Ordnung, wenngleich letztere auch von Persönlichkeiten durchgeführt werden, die für Verwirrung in der kirchlichen Doktrin sorgen. Die Kirchenzeitung in Wien (auch wenn von einem ehemaligen Priester geleitet) und jene in St. Pölten sind die vernünftigsten, während jene in Salzburg und Linz oppositionell und provokant auftreten."

Auch die Bildungseinrichtungen der Kirche kommen nicht gut weg: "Bildungswerk und Familienwerk [...] zersetzen den Glauben, säen fragwürdige Ideen und Verhaltensweisen. Laden zu Veranstaltungen ein mit dubiosen Referenten, die in offener Opposition zur Kirche stehen oder gar nicht katholisch sind. Etwa Küng, Metz, Moltmann, Lapide, Cardenal, Böckle oder die bereits erwähnten Rotter und Zulehner, die als Wissenschafter für ihre antikatholischen Ausbrüche bekannt sind. Oder der Psychiater Erwin Ringel (der sich gegen eine repressive' Sexualmoral ausspricht)." Schließlich gebe es in der Kirche zu viele Funktionäre. Erwähnt werden Caritas, Pro Oriente oder das Afro-Asiatische Institut: "Soviele Funktionäre! [...] Der Verwaltungsapparat wird von vielen gut bezahlten Laien administriert [...], eine gewaltige bürokratische Maschinerie beschäftigt dem Geiste Jesu Christi entfremdete Funktionäre." Auch der Klerus lebe im Wohlstand: "Manche Mitglieder des Klerus führen einen aufwendigen Lebensstil, besitzen Autos (!), fürstliche Residenzen, und in dies alles angesichts der Krise' im Volk."

Der Brief schließt unter anderem mit: "Diese aktuelle Situation lässt keine Illusionen auf eine rasche Gesundung der österreichischen Kirche zu. Es wird Jahre brauchen und tapfere Bischöfe und Heilige, die mit Vorsicht aber Bestimmtheit und Geschwindigkeit Strukturen und Personen ändern und auszutauschen imstande sind."

*

Anmerkung: Zweifel an der Echtheit des Berichts hat Erich Leitenberger, Chefredakteur der katholischen Nachrichtenagentur "Kathpress", geäußert: Erzbischof Cagna sei ein Bewunderer der katholischen Kirche Österreichs und Kardinal Königs gewesen, in seiner Nuntiaturszeit seien ja die Bischöfe Aichern, Kapellari und Stecher ernannt worden. Auch die Datierung des Schreibens (Jänner 1985) nähre die Echtheitszweifel, da Cagna zu dieser Zeit schwer krank in Spitalsbehandlung gewesen sei. Leitenberger hält es für möglich, dass "jemand aus Österreich" einen Entwurf für einen "Schlussbericht" Cagnas erstellt habe. "Zweifellos", so Leitenberger in der "Kathpress", habe Cagna aber "diesen Bericht nicht abgeschickt". red

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