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Theologie der abstrakten Kunst. Eine Anleitung

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Der reformierte Theologe - vor kurzem 75 Jähre alt geworden - tritt leidenschaftlich für die Begegnung zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirchen (und ihrer Theologie) ein.

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Der reformierte Theologe - vor kurzem 75 Jähre alt geworden - tritt leidenschaftlich für die Begegnung zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirchen (und ihrer Theologie) ein.

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Mein Postulat: es sollte endlich das „Projekt Moderne” in der Kunst von Kirchen und Theologie ernst genommen werden und es sollte die Anstrengung unternommen werden, dafür ein „Neues Sehen” zu entwickeln. Und dann liegt mein Interesse dort, wo es möglich ist, in der abstrakten oder nichtfiguralen Kunst Zugänge zum Glauben zu entdecken.

Die Lektion der französischen Dominikaner der 40er und50er Jahre

Die entscheidende kirchliche und theologische Öffnung zur zeitgenössischen Kunst erfolgt mit der französischen Zeitschrift „L'art sacre”, die in den dreißiger Jahren entstanden ist. Die Zeitschrift brachte eine Vielzahl von Analysen moderner Kunst und moderner Künstler (z. B. Picasso). Sie organisierte Atelier- und Ausstellungsbesuche. Durch sie entstand eine bedeutsame Kirche-Kunst-Bewegung, die sich hauptsächlich am aktuellen Kunstgeschehen orientierte. Es war eine Einflußnahme in Kunst und Architektur möglich, etwa in Bonchamps oder La Tourette (Architekt: Le Corbusier), oder mit der Matisse-Kapelle in Vence, oder auf kirchliche Glasfenster (Bazaine, Manessier, Leger ...).

Mit der Zeitschrift und der Bewegung, die sie auslöste, entstanden grundlegende Standards der Theorie-Bildung:

■ Die Auffassung, es gebe eine „christliche Kunst”, ist im Bereich der zeitgenössischen Kunst nicht mehr möglich. Kunst ist autonom geworden und sie verweigert dem Betrachter Themen, die er sofort von christlichen Traditionen her aufschlüsseln kann.

■ Ungegenständliche Kunst vermag auch Zugänge zur Transzendenz zu öffnen. Die Zeitschrift „L'art sacre” wies auf die „Armut” der heutigen Malmittel hin und verglich diese mit der franziskanischen Armut; ungegenständliche Kunst war damit auch als „asketische Kunst” interpretierbar. Schließlich wurde hier die Abstraktion als Aufforderung zur Meditation verstanden; damit bekam diese Art Kunst ihre großen Chancen im Kirchenbau.

Soviel zur Lektion im französischen Katholizismus. Für mich war es dann eine Überraschung, als ich 1964 aus der Schweiz nach Wien kam, in der Galerie nächst St. Stephan die gleiche Öffnung zur zeitgenössischen Kunst wie in Frankreich zu finden\Der Leiter der Galerie, der Theologe und Prediger von St. Stephan, Otto Mauer, förderte die künstlerische Avantgarde und versuchte sie dem Publikum auch verbal zu vermitteln. Für ihn war die heutige Kunst „autonome Kunst” (seine Aussage: „Kunst ist, was Künstler machen”).

Und immer wieder kämpfte er gegen Kunst, der es um bloße „Behübschung” ging. Theologisch interpretierte er heutige Kunst von der Inkarnation und vom Kreuz her (Inkarnation als Aufwertung des Humanen, Kreuz als Symbol des Leidens). Mit Otto Mauer lernte ich auch die Zeitschrift „Kirche und Kunst” kennen, deren Hauptredakteur Günter Rombold (vgl. die Buchrezension auf der nächsten Seite) in Linz war.

Mit den skizzierten Zugängen halte ich grundlegend fest: Kunst verläßt das bloße Abbilden und orientiert sich auf der „formalen Ebene”, also mit der Gestaltung von Formen, Farben, Strukturen; abbildhafte Inhalte fehlen oder treten zurück. Paul Klee hat die Formel geprägt: vom Punkt zur Linie zur Fläche ... Und klassisch geworden ist sein Satz: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.”

Defizite der evangelischen Theologie und ihre Aufarbeitung Die großen evangelischen Theologen dieses Jahrhunderts (Barth, Brunner, Bultmann) haben sich der Kunst unserer Zeit kaum aufgeschlossen; eine Vermittlung an Studierende gab es nicht. Nur Paul Tillich war eine Ausnahme. Ab 1960 wurden diese Defizite beachtet und es entstanden Positionen im Bereich von Theologie und Kunst.

H. E. Bahr betonte die Autonomie und den Spielcharakter heutiger Kunst. H. Schwebel postulierte ein „Neues Sehen” und ging darauf ein, daß die Ideologien unserer Zeit (Nationalsozialismus, Bealer Sozialismus) heutige Kunst und die Künstler ablehnten und mit dem Nationalsozialismus als „entartete Kunst” bezeichneten. K. Maitis grundlegende Studie trug den Titel: „Christus, die Befreiung der bildenden Künste zur Profanität.” Damit war es möglich, Kunst als Frage und Beligion als Antwort zu interpretieren. Ich versuchte das „Dialogische Prinzip” (mit Buber und Ebner) auf die ungegenständliche Kunst zu beziehen. Diese Kunst ist auf die Antwort des Betrachters angelegt.

Das „Grosse Abstrakte” und das „Grosse Reale” - die entscheidende Deutekategorie der Moderne

Bis in die 60er Jahre war es möglich, das „Projekt Moderne” von der Polarität des Abstrakten und des Bealen her zu deuten. Das Schema ist schon mit Wassily Kandinsky zu finden, und es bestimmt das großangelegte Werk von Werner Haftmann „Malerei im 20. Jahrhundert” (1954).

Abstraktion bedeutet Reduktion auf formale Grundstrukturen; solche Kunst kann geometrisch oder strukturalistisch sein; sie spricht aber auch in reinen Farben oder Farborganisationen. Eine Lektion ist durch die russischen Konstruk-ivisten Kasimir Malewitsch und Alexander Rodtschenko entstanden (vgl. die Bildtitel „Weißes Rechteck auf weißem Grund”, „Schwarz in Schwarz”). Abstrakte sind aber auch Piet Mondrian (Holland), Max Bill (Schweiz), Karl Prantl (Österreich).

Die Gegenmöglichkeit steht im Zeichen des „Großen Realen”. Hier werden oft alltägliche, triviale, verbrauchte Gegenstände als Kunstwerke „erklärt”; hier berücksichtigt man Lebensspuren und hier gibt es eine Akzeptanz des Häßlichen. Berühmt wurde Duchamps; er stellte ein Bad eines Fahrrades oder ein Urinoir in Kunstausstellungen. Das Reale meldet sich aber auch im Surrealismus und im sogenannten Neuen Realismus. Hier überall vermögen Gestaltungen eine Art magischer Wirkung auszustrahlen. Von den sechziger Jahren an kennt die Kunstszene das Happening und die Aktionen; das alles wurde jetzt auch oft zum Bürgerschreck.

Die Expansion der Kunst und die Postmoderne

Seit den 60er Jahren gibt es neue Entwicklungen. Kunst überschreitet jetzt ihre traditionellen Bäume und Grenzen; das klassische Dreieck „Atelier-Galerie-Museum” wird verlassen. Künstlerische Aktionen finden in der Öffentlichkeit statt und schockieren die Öffentlichkeit (Beispiel: Wiener Aktionismus). Die 68er und die Hippies möchten, daß Kunst erstarrte, gesellschaftliche Strukturen „auftaut”. Jetzt gibt es auch Frauenkunst, Straßenkunst, Kunst psychisch Kranker; jetzt bezieht der Künstler auch seinen Körper in die Aktion ein (Performances). Schlagworte lauten nun: „Kunst ist Leben”. Und: „Alles ist Kunst”. Kunst erscheint m neuartigen Verknüpfungen: Kunst und Fernsehen, Kunst und Videos, Kunst und Computer ... Manchmal wird der Künstler zum Guru einer neuen Beligiosität.

Nun wird auch das Ende des „Projektes Moderne” proklamiert und wir stehen in der „Postmoderne”. Die Wandlung zeigt sich zum Beispiel in der Architektur; hier werden die Ideale der „Neuen Sachlichkeit” und des „Funktionalismus” verlassen. Es entstehen Bauten mit Säulchen, Türmchen, Winkeln; Perspektive und Illusionistisches kehren zurück; Bauten werden im Hundertwasserstil „begrünt”.

Jetzt gibt es einen Stilpluralismus und die Zitate aus vergangenen Bau-und Malepochen. Die Postmoderne bedeutet ein amerikanisches Lebensgefühl mit Kiosken, Beklamen, Moden, Design. Und da gibt es dann auch viele Bezüge zur Psychoszene, allenfalls auch eine „Neue Beligiosität”. Wie ist das alles zu deuten? Jürgen Habermas spricht von der „Neuen Unübersichtlichkeit”.

Kunstdeutung aus dem Bilderverbot der Bibel

Trotzdem ungegenständliche Kunst (das große Absolute) heute nicht mehr gefragt ist, möchte ich sie als die große Chance für Kirchen bezeichnen. Im Sinne meiner reformierten Tradition (Zwingli, Calvin) knüpfe ich am Bilderverbot der Bibel an. Zwei Zitate sollen die Berechtigung meiner Fragestellung zeigen. Horst Schwebel stellt die Frage: „Ist die abstrakte Malerei der große Bilderstürmer ...?” Und Günter Bombold spricht von einem „... internen Ikonoklasmus (= Bildersturm) der modernen Kunst oder von einer neuen Form unter den Bedingungen der Moderne” .

Das Alte Testament verbietet in den Zehn Geboten das Kultbild, weil Kultbilder die Wohnung der Götter sind. Und Beligion bedeutete auch, daß man mit magischen Praktiken solchen Bildern Kräfte für die Menschen entnimmt. Das alles erträgt der Gott Israels nicht, - über ihn kann man nicht magisch verfügen; er ist ja auch der Unsichtbare. Darum sind Kultbilder Menschenwerk und Götzendienst.

Das Bilderverbot der Bibel hatte zunächst keine künstlerischen Konsequenzen; es ging um den Kult und nicht um Kunst. Es gab „Bilder trotz des Bilderverbots” (so der Wiener Ostkirchenkundler E. Chr. Suttner). Es gab dann eine jüdische und eine christliche Kunst. Allerdings: später gab es bilderfeindliche Äußerungen mit Konsequenzen für die Kunst (etwa im Islam, der in Moscheen nur das Ornament gestattet). Es gab auch die Bilderstürme oder das geordnete Wegtragen der Bilder (so in Zürich). Eine Konsequenz sind die ungeschmückten, leeren Kirchen zum Beispiel in der Schweiz. Zwingli spricht von „gar hellen Tempeln” mit den „hübsch wyssen Wänden”. Und heutige Kunstinterpreten (Werner Hofmann) schlagen von der Beformation zur Neuzeit eine Brücke (vgl. die Ausstellung „Luther und die Folgen für die Kunst”, Kunsthalle Hamburg 1984).

Die Beformation lehnt das kultische Bild als Götzenbild ab; aus dem Calvinismus kommt eine Entsinnlichungstendenz, die zum Beispiel die Kunst Mondrians beeinflußt hat. Weiter gibt es anthropologische und gesellschaftliche Konsequenzen, die man mit dem Bilderverbot in Zusammenhang bringen kann. Max Frisch sagt (im Roman „Stiller”): „Du sollst dir kein Bildnis machen! Jedes Bildnis ist Sünde. Es ist das Gegenteil von Liebe.” Das Bild wird abgelehnt, weil es einen Partner zum Objekt macht. Weiter ist es möglich, das Sich-Bildermachen auf das gesellschaftliche Vorurteil zu beziehen; dort wo vorgefaßte Bilder herrschen, entstehen Diskriminierungen (das Bild des Juden, das Bild des Fremden ...)

Sätze zu einer „Theologie der abstrakten Kunst”

Erstens: Indem sich abstrakte (oder ungegenstandliche) Kunst vorrangig formal orientiert (vom Punkt zur Linie zur Fläche ...) und damit ein „Neues Sehen” und einen „Neuen Blick” fordert, wird sie offen für Transzendenz. Nach Rainer Volp gibt es eine „Glaubensmystik der abstrakten Kunst”. Der Verzicht auf Inhalte, der Abschied vom bloßen Abbilden, der Bückzug in die Latenz bedeutet ein Öffnen der Gestaltung. Damit können Prozesse und Tendenzen heutiger Kunst auf da; Bilderverbot der Bibel bezogen weiden: dieses verbietet den Zugriff auf Gott; Gott ist der Unsichtbare; über jott kann man nicht verfügen. Vom Bilderverbot her ist es möglich, künstlerische Prozesse des Weglassens, der Reduktion, der Entsinnlichung, der Askese positiv zu würdigen.

Zweitens: Heutige Kunst werte die Rolle des Betrachters und Interpreten neu auf; diese Rollen werden neu definiert. Betrachter und Interpret erhalten eine Freiheit im künstlerischen Prozeß; es wird ihm nicht mehr vorgeschrieben, was er sehen muß. Durch eine aktive und schöpferische Deutung wird er zum Kooperator des Künstler- Die Freiheit, die der Betrachter im Dialog erhält, schafft eine neue, humane Sensibilität. Meditation und Kontemplation solcher Kunst verändern und verwandeln den Betrachter.

Drittens: Abstrakte Kunst kam auf Traditionen der sogenannten „Negativen Theologie” bezogen werden Die Theologie kennt eine „via negativa” als Erkenntnisform. Sie formiliert Sätze, die sagen, „was Gott nicht ist”; er ist unfaßbar, unbeweisbar, unbegreiflich. Heutige Kunst zeigt durch immer stärkeres Abstrakt-Weiden, daß Transzendenz und Wirklichkeit nicht identisch sind; Abbild und Illustration erfassen Transzendenz nicht.

Viertens: Kunst ist „Sprache der Zeit” und „Antwort auf die Zeichen der Zeit”. Heute gibt es eine Vielzahl künstlerischer Traditionen, die ms „nicht mehr ansprechen” (Beispiel Jesusbilder der Nazarener). Es ist sinnvoll, in diesem Zusammenhang das Symbolverständnis von Paul Tillich beizuziehen. Er sagt zur heutigen Symbolproblematik, es gebe „sterbende Symbole” und er vertritt die Auffassung, es könnte neue (neu auferstehende) Symbole geben: „(Symbole) entstehen, wenn die Zeit reif dafür ist, und sie vergehen, wenn die Zeit über sie hinweggeschritten ist.”

Der Autor ist emeritierter Professor für (evangelische) Systematische Theologie und lebt in Wien.

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