hoffnung - © Pixabay

Theolympia: Hoffen ist menschlich

19451960198020002020

Hoffnung ist menschlich. Sie fordert Mut zur Enttäuschung und spendet doch Kraft, Krisenzeiten zu überstehen. Mit seinem Text über die Hoffnung belegt Paul Summer den 1. Platz der heurigen „Theolympia“, dem Preis für theologische Essays im Religionsunterricht.

19451960198020002020

Hoffnung ist menschlich. Sie fordert Mut zur Enttäuschung und spendet doch Kraft, Krisenzeiten zu überstehen. Mit seinem Text über die Hoffnung belegt Paul Summer den 1. Platz der heurigen „Theolympia“, dem Preis für theologische Essays im Religionsunterricht.

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug“ – Hilde Domin

Wie!? Sie trug? Aufgeschreckt starrt man die Textzeile an. Die eben noch dagewesene Müdigkeit ist verflogen, sie hat sich geradezu in Luft aufgelöst. Wie geht das? Kann Luft tragen? Gibt es nicht noch etwas, das man übersehen hat? Vielleicht eine Erklärung? Gespannt wartet, nein, hofft man, dass noch etwas passiert. Dass irgendwo eine Erkenntnis schwebt, die sanft durch die Luft gleitet und von ihr getragen wird, um schließlich wie durch einen Zufall die Gedanken zu streifen. Aber es passiert nichts. Alles bleibt still.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Geht es uns so nicht allzu oft? Dass wir warten, nein, hoffen, dass etwas eintritt, was wir uns wünschen? Oder dass etwas nicht eintritt, wovor wir uns fürchten? Kennen das nicht alle? Es kennen alle. Hoffen ist menschlich. Müsste Hoffnung dann nicht eigentlich einfach zu beschreiben sein? Wenn wirklich alle dieses Gefühl kennen, vom kleinsten Kind bis zum ältesten Menschen? Wenn man aber darüber nachdenkt, wie man Hoffnung jemandem erklären soll, der noch nie etwas von ihr gehört hat, gerät man ins Stocken. Es ist nicht Freude. Es ist nicht Trauer. Es ist nicht Wut, nicht Angst, nicht Neid. Nein, das Gefühl der Hoffnung ist etwas feineres, vielschichtigeres. Es hat etwas mit Zukunft zu tun, mit warten, es kann ein Nervenkitzel, aber auch eine Urkraft aus dem Innersten des Herzens sein, eine Kraft, die einen über die widrigsten Lebensumstände hinwegträgt, selbst wenn man über einem beängstigenden Abgrund in der Luft schwebt. „Na und?“ wird die Person sagen, die noch nie etwas von Hoffnung gehört hat. „Darunter kann ich mir nichts vorstellen.“ Gut, versuchen wir es einmal anders: Hoffnung kann das sein, was man fühlt, wenn man an einem heißen Sommertag an der Straßenbahnhaltestelle steht, und sich fragt, ob man vielleicht doch eine klimatisierte Straßenbahn erwischt und nicht eine, bei der man sich sardinendosenartig zwischen andere schwitzende, genervte Menschen zwängen muss. Hoffnung kann allerdings auch das sein, was einen dazu bringt, in schwierigen Zeiten und nach unangenehmen Erlebnissen nicht zu verzagen, sondern weiterzumachen und wieder aufzustehen.

Wenn sie besonders stark ist, kann Hoffnung einem dabei helfen, große Belastungen oder sogar unmenschliche Bedingungen zu ertragen.

Wie macht die Hoffnung das? Wenn die Hoffnung das wirklich alles kann, dann müsste sie ja sehr mächtig sein. Dann müsste ja jeder Mensch und überhaupt alles vor Hoffnung strahlen. Wenn wir aber vor unsere Türe treten, dann sehen wir keine Hoffnung. Wir sehen Krieg. Gut, zugegebenermaßen nicht vor unserer Haustüre, aber zumindest jeden Tag in den Nachrichten. Und selbst direkt in unserem Alltag wird täglich ein vielfältiges und umfangreiches Repertoire an schlechten Ereignissen geboten: von den Eltern, die ihr Kind an der Straßenbahnhaltestelle, an der man noch immer halb gespannt, halb ängstlich wartet, wütend zusammenschimpfen, über Familienstreitigkeiten, Gewalt und den Verlust geliebter Menschen bis hin zum Klimawandel. Ist das Hoffnung? Eigentlich nicht. Aber woher kommt das? Warum ist die Hoffnung so unsichtbar? Oder muss man nur genauer hinschauen? In unserem Alltag zumindest ist Hoffnung nicht gerne gesehen. Wer die Zukunft positiv betrachtet, wird, wenn es freundlich zugeht, als realitätsferner Träumer bezeichnet. Wer es auch nur wagt, an das Gute im Menschen zu glauben, wird als naiv und unverantwortlich beschimpft. „Wie kann man nur so dumm sein?“, fragen die Leute. „Das weiß ja schon jedes Kind, dass man immer zuerst vom schlechten ausgehen muss. Aber gut, das kann jedem mal passieren. Sperare humanum est – Hoffen ist menschlich. Na, mach den Fehler das nächste Mal nicht mehr.“ So denken die Leute. Hoffnung bringt die Gefahr mit sich, dass sie enttäuscht wird. Sie ist nichts Verbindliches, kein Vertrag, bei dem man etwas unterzeichnet und dafür mit Sicherheit eine Gegenleistung erhält. Wer hofft, lässt sich auf etwas ein. Hoffnung ist auch nicht laut. Sie ist nicht das Gefühl, das mit Brausen und Donnern herabfährt, um den Bösewicht zu bestrafen und Angst und Schrecken zu verbreiten, sie ist nicht das Gefühl, das den Menschen mit knalligen Farben und schneidigen Slogans wie eine Pop-up Werbung ins Gesicht springt, sie ist nicht das Gefühl, das mit Kunststücken und Lichteffekten Eindruck schindet. Deshalb wird sie gerne verlacht und als machtlos hingestellt. Hoffen ist nicht leicht. Aber menschlich.

Menschen, die aus der Hoffnung Kraft schöpfen, brauchen eine ganz andere Art von Mut. Nämlich den Mut, in Kauf zu nehmen, dass ihr Hoffen enttäuscht wird. Könnte Hoffnung dann auch etwas mit Vertrauen zu tun haben? Denn ist Hoffnung nicht im Grunde eine Art Vertrauen auf die Zukunft – und vielleicht sogar auf Gott? In unserem Alltag aber wollen die Leute weder Hoffnung, noch Vertrauen, sondern Sicherheit. Und gerade dadurch sind sie so unsicher. Ein schönes Paradoxon, wenn man es bedenkt. „Gibt es nicht Hoffnung mit Sicherheit?“ fragt die Person, die noch nie etwas von Hoffnung gehört hat. Da drängt sich noch ein anderes Wort auf, das wesentlich lieber als hoffen verwendet wird, weil es ebendiese Sicherheit suggeriert. Das Wort glauben. Allerdings nicht an eine Religion oder gar an Gott, sondern an, wie die Leute finden, gewisse Tatsachen: Wer sagt, dass er hoffe, dass etwas eintrete, der klingt unsicher, verletzlich und angreifbar. Jemand, der sagt, dass er glaube, dass etwas eintrete, der klingt so, wie als ob er anhand einer rationalen Überlegung zum Schluss gekommen sei, dass etwas (was auch immer es sein mag) eintreten müsse. Wenn das Wort Glauben so verstanden wird, dann ist es fast wie ein Synonym zu wissen und ein Gegensatz zu Hoffnung und Vertrauen.

Menschen, die aus der Hoffnung Kraft schöpfen, brauchen Mut, in Kauf zu nehmen, dass ihr Hoffen enttäuscht wird.

Der religiöse Glaube ist jedoch anders. Er steht nicht im Gegensatz zum Vertrauen, er ist keine Konkurrenz zur Hoffnung, sondern er harmoniert mit den beiden und fügt sich mit ihnen zu einem wunderbaren Ganzen zusammen. So ein harmonisches Miteinander klingt zunächst einmal sehr schön. In unserer Gesellschaft aber können Hoffnung und Vertrauen oder gar religiöser Glaube geradezu anstößig wirken. Die Person, die noch nie etwas von Hoffnung gehört hat, rümpft widerwillig die Nase. Die Hoffnung hat es eben nicht leicht. Sie wird als letzter Strohhalm gesehen, an den man sich klammern kann, wenn es sonst nichts mehr gibt. Dabei ist Hoffnung keineswegs Eingeständnis von Schwäche oder Symptom von Verletzlichkeit. Wer hofft, der gibt nicht auf. Im Gegenteil: War Hoffnung nicht immer der Beginn von etwas Neuem, Großartigem? War Hoffnung nicht stets der Anfang des Weges zum Aufbau und zum Besseren? Hoffnung ist wie ein zartes, aber unverwüstliches und hartnäckiges Pflänzchen, das in den Herzen der Menschen wächst. Sie bahnt sich den Weg durch den Asphalt des Leids und der Resignation. Wer schon einmal eine Asphaltstraße gesehen hat, die länger nicht gepflegt wurde, hat vielleicht bemerkt, dass Risse im harten Straßenbelag entstehen, durch die kleine Pflanzen wachsen und den Asphalt langsam, aber sicher aufbrechen. Unglaublich, dass solche unscheinbaren Gewächse so etwas schaffen. Und genau das schafft die Hoffnung auch. Sie hat – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Sprengkraft. Ist Hoffnung nicht möglicherweise der Grundstein des Widerstandes gegen Unterdrückung und Gewalt? Ist sie vielleicht sogar so etwas wie die Triebfeder der Menschlichkeit?

Denn Hoffen ist menschlich.

Hoffnung ist aber überhaupt nicht zerstörerisch, wie man bei dem Wort "Sprengkraft" vielleicht annehmen könnte. Das Besondere an ihr ist, dass sie eben auch tragen kann, wie Hilde Domin im anfänglichen Zitat bemerkt. Bei diesem Zitat werden manche an die sehr berühmte Bibelstelle denken, bei der Jesus und auch Petrus über das Wasser gehen. Sie ist, obwohl sie in mehreren Evangelien vorkommt, immer sehr ähnlich geschildert. Hier ist es nicht die Luft, die trägt, sondern das Wasser. Und auch hier setzt Petrus einfach seinen Fuß ins vom Sturm aufgewühlte Wasser – und es trägt. Zumindest so lange, bis er Zweifel bekommt. Doch sind es wirklich die Luft oder das Wasser, die Hilde Domin oder Petrus tragen? In der Bibel wird angedeutet, dass es nicht das Wasser selbst ist, das trägt. Es könnte allerdings das Vertrauen sein. Als das Vertrauen nämlich verschwunden ist, trägt ihn dasselbe Wasser, über das er vor kurzem noch gegangen ist, nicht mehr. Und bei Hilde Domin? Trägt dort wirklich die Luft? Oder doch etwas ganz Anderes? „Vielleicht die Hoffnung?“, fragt die Person, die noch nie etwas von Hoffnung gehört hat, hoffnungsvoll. Es könnte tatsächlich die Hoffnung sein.

Denn wenn man ehrlich nachdenkt, gibt es auch in unserem eigenen Alltag immer wieder Frustrierendes. Sowohl im Kleinen, in zwischenmenschlichen Beziehungen, in der Schule und in der Arbeit als auch in den Medien und der Politik. Dabei leben wir verhältnismäßig noch im Luxus. Wie geht es erst Leuten, die in Kriegs – und Katastrophengebieten leben oder auf der Flucht sind? Man möchte es sich lieber gar nicht vorstellen. Aber auch diese Leute beginnen immer wieder von neuem. Und auch wir sind schon unzählige Male nach Rückschlägen wieder aufgestanden und machen immer weiter. Was treibt uns alle an? Ist die Hoffnung vielleicht doch nicht so unsichtbar, wie es scheint? Ist es nicht genau das, was christlichen und generell religiösen Glauben ausmacht? Dieses Hoffen, dass die Zukunft vielleicht doch etwas Gutes bringen wird? Und der unverwüstliche Glaube an das Gute, auch und besonders im Menschen? Eine im heutigen Diskurs geradezu rebellische Hypothese. Und es wird noch kühner: Mit Hoffnung, Glaube und Vertrauen sind wir plötzlich keine passiven, hilflosen Opfer unseres Schicksals mehr, sondern wir können selber versuchen, unser Stück zu einer besseren Zukunft beizutragen. Natürlich können wir nicht alles, was wir uns wünschen, vollständig erfüllen, denn so funktioniert Hoffnung nicht. Aber wir können zumindest etwas beitragen. Wer sich eine lange nicht gepflegte Asphaltstraße anschaut, der sieht, dass es möglich ist.

„Wirklich?“ fragt die Person, die nun gerade eben zum ersten Mal von Hoffnung gehört hat. Lange ist sie still. Abwägend blickt sie mal in die Ferne und dann wieder in die Nähe. Und dann macht sie plötzlich einen Schritt. Wie als würde sie eine Stiege hinaufgehen. Nur dass da keine Stiege ist. Aber sie macht noch einen. Und noch einen. Und sie geht durch die Luft, die sie trägt. Bald schon ist sie nicht mehr zu sehen. Seltsam.

Naja, Hoffen ist eben menschlich.

Navigator mit Faksimile - © Fotobearbeitung: Manuela Tomic

Im FURCHE-Navigator weiterlesen?

Scrollen Sie ganz einfach nach unten. Am Ende dieses Artikels finden Sie viele weitere Texte zu diesem Thema. Reisen Sie mit uns durch die Zeit – von 1945 bis heute!

Scrollen Sie ganz einfach nach unten. Am Ende dieses Artikels finden Sie viele weitere Texte zu diesem Thema. Reisen Sie mit uns durch die Zeit – von 1945 bis heute!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung