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Georges-Arthur Goldschmidt - deutscher Jude, französischer Schriftsteller, am 2. Mai 75 Jahre alt - und das Geheimnis Gottes.

Im Leben von Georges-Arthur Goldschmidt gibt es eine Zäsur, die in vielen seiner Schriften zur Sprache kommt: den Abschied von den Eltern am 18. Mai 1938, die der Zehnjährige nie mehr wiedersehen sollte. Die Eltern waren liberale evangelische Juden, Großbürger, die mit der Stadt und ihrer Geschichte seit vielen Generationen verbunden waren. Die Flucht vor dem Rassenwahn der Nazis führte Goldschmidt nach Italien und dann nach Frankreich, wo er Gymnasiallehrer, Vater und Großvater, vor allem aber Autor und Übersetzer (u.a. von Peter Handke) wurde. Mit dem Prosaband "Die Absonderung" hat er nach einem halben Jahrhundert wieder in die deutsche Sprache zurückgefunden.

Das Drama der Entwurzelung, Angst und Abgesondertsein, die sadistischen Züchtigungsrituale im Internat in Savoyen und die Flucht in den Masochismus, der diese Züchtigung sucht - das ist der Stoff der leisen und unaufdringlichen Prosa von Georges-Arthur Goldschmidt. 2001 ist auf deutsch seine Autobiografie "Über die Flüsse" erschienen, in der er sein Leben in ein geschichtliches und zeitgeschichtliches Panorama stellt und ohne die Maske der Fiktion von sich selbst erzählt. Auch das neue Buch ist ganz aus der Perspektive dieser Lebensgeschichte heraus geschrieben und spitzt die Erfahrungen auf ein Thema zu: auf die Gottesfrage.

"Gott war nicht mit uns"

"Für mich war Gott von Anfang an gegenwärtig", heißt es auf den ersten Seiten des Essays "In Gegenwart des abwesenden Gottes", der mit der Beschreibung einer konventionellen protestantischen Sozialisation beginnt. Aber die ist bald zu Ende, denn: "Denen, die keine Arier' waren, verweigerten die Pastoren Taufe, Hochzeit und Begräbnis". So war sich schon das Kind sehr bald sicher, dass Gott nicht in den Kirchen sein kann, in denen solches geschieht; aber das bedeutete auch viel genereller: "Gott war wirklich nicht mit uns."

Aber damit war Goldschmidts Geschichte mit der Religion nicht zu Ende. In der katholischen Umgebung des Internats in Savoyen entwickelte er eine "narzißtische und ziemlich perverse Inbrunst" und "schwelgte in kindlich konfusem Deismus zwischen Weihrauch und Protestantismus, zwischen Erbauung und Heiligenleben". Er hielt sich "für nichts weniger als eine Art Vize-Christus, der als Zeuge Gottes dem Martyrium geweiht war". Doch dort wurde ihm auch bewusst, dass er zugleich Christ und Jude war, ohne viel vom Judentum zu wissen; "Jude' zu sein hieß also für mich nichts anderes, als daß man mich töten wollte, weil ich existierte." Und damals begann auch die Ahnung davon, "daß dieses mörderische Heidentum tief im Grund des Christentums wurzelte".

Geschützt, im Stich gelassen und neuerdings versteckt - so überlebte Goldschmidt und erfuhr zum ersten Mal eine "Wollust am Leben". In diesem Schlüsselerlebnis gründet sein Glaube an die Einzigartigkeit jedes Menschen und auch seine Religionskritik: "Kein Mensch ist wertlos genug, um einem Bekenntnis geopfert zu werden, und keine Religion der Welt ist auch nur ein einziges Menschenleben wert."

Geheimnis Mensch

Goldschmidt, der sich als Jugendlicher katholisch taufen ließ und sogar Priester werden wollte, entdeckte, dass auch die, die ihn geschützt und gerettet hatten, noch immer von den Juden als vom "Volk der Gottesmörder" sprachen - dass diese Formulierung überhaupt möglich war, zeigte ihm mit einem Schlag die Nichtigkeit seiner Glaubensinhalte und führte zur Ablehnung eines bewiesenen und definierten Gottes. Geblieben ist ihm eine Glaube ohne Gläubigsein, eine "innere Wahrnehmung der Existenz". Angestoßen u.a. durch Rousseau, Montaigne, Angelus Silesius, durch Philosophen wie Descartes, Derrida und Levinas, durch die Psychoanalyse Freuds, vor allem aber immer wieder durch Kafka, kritisiert er die Gottesidee als Ablenkung des Menschen von sich selbst und als "eine Maske der Obrigkeit".

Aus eigenen Erlebnissen wie Reflexionen rechnet Goldschmidt nicht nur mit dem Christentum, sondern mit jeder etablierten Religion ab. Seine Botschaft: nicht Gott ist das größte Geheimnis, sondern jeder Mensch. Die Worte, die er dafür findet, sollte sich kein religiöser Mensch "ersparen".

IN GEGENWART DES ABWESENDEN GOTTES

Von Georges-Arthur Goldschmidt

Ammann Verlag, Zürich 2003

96 Seiten, kart., e 13,90

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