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Ehevertrag - © Foto: ÖNK

150 Jahre Notarsberuf: "Menschen begleiten, Rechte wahren"

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Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, über den vor 150 Jahren grundgelegten Notarsberuf – und das heutige Selbstverständnis.

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Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, über den vor 150 Jahren grundgelegten Notarsberuf – und das heutige Selbstverständnis.

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Es war am 25. Juli 1871, als Kaiser Franz Joseph eine neue Notariatsordnung im Reichsgesetzblatt Nr. 161 unterschrieb. Die Aufgaben des Notariats wurden damit in einem eigenen Berufsrecht festgelegt – und umfassten im Wesentlichen das Grundbuch, Vermögensrecht und die Funktion des Gerichtskommissärs. Heute gehen die Zuständigkeiten der österreichweit 528 Notarinnen und Notare noch weit darüber hinaus. Was gehört anno 2021 zu den Hauptaufgaben in einem Notariat – und inwiefern versteht man sich mehr denn je als Begleiter von Menschen in entscheidenden Lebensphasen? Ein Gespräch mit Michael Lunzer, Präsident der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, wo es aktuell 223 Notariate gibt.

Herr Lunzer, seit 150 Jahren gibt es den Beruf des Notars. Wie würden Sie die Veränderungen beschreiben, was gehört heute zu diesem Berufsbild dazu?
Michael Lunzer: Damals wie heute begleiten wir rechtssuchende Menschen in entscheidenden Lebensphasen, aber im Vergleich zu früher sind diese Lebensbereiche natürlich vielfältiger geworden. Wenn ich etwa an das Fortpflanzungsmedizingesetz denke, dann sind wir heute manchmal schon vor der Zeugung eines Menschen involviert – und mit dem Gerichtskommissariat geht es bis über den Tod hinaus. Und natürlich berührt auch das ganze Leben dazwischen immer wieder unsere Berufstätigkeit: Das ist ein sehr weiter Bogen – vom Liegenschaftsrecht, wenn sich etwa eine Familie eine Wohnung kauft oder ein Haus verschenkt, über das Familienrecht, das Adoptionsrecht oder die Beratung von Lebensgefährten gleichen Geschlechts bis hin zum Gesellschaftsrecht, wenn Unternehmen begonnen oder an die nächste Generation weitergegeben werden. Wir sind also mit den verschiedensten Lebensbereichen unterschiedlichster Menschen befasst.

Michael Lunzer - © ÖNK – R. Tanz

Bereits seit 1982 ist Michael Lunzer als Notar in Wien tätig. Als Präsident der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland spricht er für 223 Kolleginnen und Kollegen

Bereits seit 1982 ist Michael Lunzer als Notar in Wien tätig. Als Präsident der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland spricht er für 223 Kolleginnen und Kollegen

Ganz aktuell kommt eine neue, herausfordernde Zuständigkeit dazu – nämlich die etwaige Ausstellung einer „Sterbeverfügung“, wie sie das geplante Sterbeverfügungsgesetz vorsieht, das im Jänner 2022 in Kraft treten soll. Dadurch soll unter bestimmten Umständen assistierter Suizid straffrei werden. Was sagen Sie zu dieser neuen Aufgabe?
Lunzer: Das ist ein schwieriges Thema. Wenn ich vom Freiheitsgedanken ausgehe und sage, dass die menschliche Freiheit so weit gehen muss, selbst bestimmen zu können, wann ich mein Leben beende, dann ist das ein zulässiger Ansatz. Aber natürlich hat diese Frage auch noch weitere Implikationen, umso mehr braucht es hier eine gute Beratung und Begleitung der sterbewilligen Person – medizinische, aber natürlich auch rechtliche, was etwa die Folgen für das Umfeld betrifft. Diese Aufklärung über die rechtliche Situation nach dem Ableben gehört aber schon jetzt zu unserem Tätigkeitsbereich, etwa im Zusammenhang mit einer Testamenterstellung oder einem Verlassenschaftsverfahren.

Das neue Gesetz ist am Patientenverfügungsgesetz angelehnt, das es ja auch noch nicht so lange gibt. Wie waren hier Ihre Erfahrungen?
Lunzer: Hier muss man betonen, dass etwa eine verbindliche Patientenverfügung konkret festlegt, welche medizinischen Behandlungen man in Zukunft ablehnt – oder eine beachtliche, was im betreffenden Fall eben zu beachten ist. Die Zukunft ist aber ungewiss – und hier kann sich auch medizinisch vieles ändern, was nicht zuletzt das Beispiel Covid-19 gezeigt hat: Bei vielen Gesprächen wurde etwa früher der Wunsch geäußert, nicht künstlich beatmet werden zu wollen. Doch seit Covid-19 wissen wir, dass dies auch eine wichtige und gebotene Therapie sein kann. Anders als bei einer Patientenverfügung legt man bei einer Vorsorgevollmacht nur fest, welche Person im eigenen Namen einer Behandlung zustimmen oder eine Behandlung ablehnen soll, wenn man selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Das ist angesichts einer ungewissen Zukunft ein agileres Instrument. Sofern man einen solchen Menschen hat, dem man vertraut, ist man mit einer Vorsorgevollmacht aus meiner Sicht besser bedient.

Wir sehen unsere Kernaufgabe als Notarinnen und Notare darin, durch unser Aufklären und Verständlichmachen gute Lösungen zu suchen und dadurch Freiheit und Grundrechte zu schützen.

Die Coronakrise hat nicht nur den Blick auf künstliche Beatmung verändert, sondern auch die Digitalisierung dynamisiert. Seit Frühjahr 2020 können in den Notariaten fast alle Tätigkeiten auch online erfolgen. Es ist ein weiterer Schub nach 2000, als das elektronische Urkundenarchiv eingerichtet wurde – mit heute knapp 13 Millionen gespeicherten Urkunden. Aber aus Ihrer Erfahrung gesprochen: Welche Tätigkeiten lassen sich gut online durchführen – und welche brauchen nach wie vor persönliche Präsenz?
Lunzer: Gut funktionieren Videokonferenzen, wenn es um Fakten geht. Wenn Sie etwa eine Eigentumswohnung kaufen und mit der Verkäuferin die Zahlungsfristen klären wollen, kann man das gut so machen. Schwierigkeiten sehe ich hingegen im Bereich des Familienrechts oder ganz allgemein dort, wo man in komplizierten Situationen um Vorschläge gefragt wird – also wenn es etwa darum geht, dass unter drei Kindern eines ist, das sich immer schon benachteiligt gefühlt hat. Dem in einer Videokonferenz entsprechend Raum zu geben, ist schwierig. Wenn man hingegen gemeinsam in einem Zimmer sitzt, kann man auch an der Gestik und Mimik der Teilnehmenden ablesen, wo die Person jeweils steht, was wie ankommt oder wo es jemanden schaudert. All diese emotionalen Aspekte gehen in einer Videokonferenz leicht verloren. Hier kommt auch der Mediator in mir durch.

Apropos Mediator: Wie hilfreich ist eine solche Ausbildung in Ihrer Tätigkeit?
Lunzer: Es ist sicher hilfreich, das gelernt zu haben, weil es die Gesprächsführung und das Raumgeben erleichtert. Aber man kann sicher auch ein gutes Gespräch führen, ohne Mediator zu sein.

Das führt mich zum zentralen Motto der Notarinnen und Notar, nämlich „Im Mittelpunkt der Mensch“. Was heißt das konkret für Sie?
Lunzer: Das ist für mich persönlich ein ganz wichtiges Motto – eben weil wir, wie schon besprochen, im weiten Bogen des menschlichen Lebens für und mit den Menschen arbeiten. Dazu gehört ganz wesentlich, etwa bei Vertragsbesprechungen durch Information über die Rechtslage, die ja den einzelnen Parteien unterschiedlich bewusst ist, für alle eine gute, freie Entscheidung zu ermöglichen. Ein klassisches Beispiel ist ein Schenkungsvertrag ohne Übergabe: Wenn man etwa ein Schenkungsversprechen hinsichtlich eines Autos macht, dann kann man dieses zwar noch nutzen, wenn man dies vereinbart hat, aber eben nicht mehr am nächsten Tag verkaufen – weil geschenkt ist geschenkt. Genau dazu braucht man eben einen Notariatsakt. Die aufgeklärte, freie Entscheidung zu unterstützen, ist also eine ganz wesentliche Aufgabe von uns. Wir sehen unsere Kernaufgabe darin, durch unser Aufklären, Informieren und Verständlichmachen gute, faire Lösungen für alle zu suchen und dadurch Freiheit und Grundrechte zu schützen.

Das klingt deutlich anders als das mitunter hartnäckige Klischee vom Notar mit den Ärmelschonern ...
Lunzer: Diesem Operettenimage des verstaubten ärmelschonertragenden Bürokraten entgegenzutreten, sehen wir tatsächlich als eine wesentliche Aufgabe. Eben weil es der Realität nicht gerecht wird! Wenn Sie heute quer durch die Kollegenschaft schauen, sehen Sie viele junge, engagierte Notarinnen und Notare, die sich vor allem als Beraterinnen und Berater von Menschen verstehen – in all ihrer Diversität und allen möglichen herausfordernden Lebenssituationen.

Fakt

Recht mit Sicherheit

Notarinnen und Notare sind vom Gesetz – ähnlich wie ein Richter – dazu verpflichtet, „unparteiisch“ zu sein: Das heißt, ein Notar, eine Notarin vertritt nicht einseitig die Interessen eines Klienten. Er oder sie steht auch nicht für oder gegen eine Partei. Durch diese Unparteilichkeit wird für ausgewogene Rechts- und Vertragsverhältnisse gesorgt. Konflikte können dadurch bereits im Vorfeld vermieden werden. Nähere Informationen unter notar.at.

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