Der neue und der alte Hut: ein Massenproblem

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ÖKONOMIE • Damit Käufer kaufen, braucht es viel Gruppendynamik und Exzentrik: die Erfolgs-Rezepte der Mode.

Es ist schon ein Verdruss mit dem Wechsel der Sitten und Gebräuche. Heinrich von Kleist hatte mit dem Tand schon seine liebe Not. Da setzte es pure Verachtung für den letzten Schrei aus der Garderobe: "Ein Kleid, das sie heute einen Schlafrock nennen, tragen sie morgen als Abendkleid und umgekehrt.“

Jenseits der grantigen Perspektive des Dichters, ist das, was hier beschrieben wird, eines der großen Erfolgsgeheimnisse der europäischen Wirtschaft. Denn der schillernde Wechsel seiner Moden - und des Geldes, das die kaufende Masse dafür auszugeben bereit ist, ist mitverantwortlich für Jahrhunderte wirtschaftlicher Dominanz.

Mit Seide, Leinen, Damast und Samt wurden ganze Regionen so reich, dass sie noch bis heute davon zehren können. Ganz Flandern etwa gründet seinen Reichtum auf die Segnungen der Textilmode. Doch nur der gewinnt die Masse, der kaufkräftigen Adeligen und Bürger, der gruppentaugliche Mode zu schaffen weiß.

Mode ist ein komplexes psychisches Spiel zwischen dem Einzelnen und der Gruppe, zwischen dem Exzentriker und seinen Nachahmern, zwischen Gruppendruck und Ausbruch aus der Norm. Mit Logik hat der Prozess der Mode also nur in seinem äußersten Erscheinungsbild zu tun. Der Kunsthistoriker Ernst Gombrich hat Mode treffend als "Spiel mit Seltenheitswerten“ bezeichnet.

Gruppenbewusstsein mit Hut

Während es dem Individualisten also darum geht, möglichst aus der Gruppe herauszustechen, versucht ein Teil des Restes genau das Gegenteil - möglichst nicht aufzufallen. Eine dritte Gruppe ist auf der Suche nach Ideen und Vorbildern, denen sie sich anschließt. Erst wenn die Gruppe der "Erneuerer“ und der Vorbildsucher so groß geworden ist, dass es unangenehm auffallen würde, ihr nicht anzugehören, wechselt die Gruppe der Beharrenden die Seite. Dann hat der Erfinder sein Ziel erreicht und muss sich konsequenterweise sofort wieder darum bemühen, die Aufgeschlossenen mit einer neuen Kreation einzunehmen.

Darüber hinaus unterschied früher die Mode eine Gruppe von der anderen: In der Renaissance war die Stellung und soziale Schicht des Individuums in auffallender Weise mit seinem Hut verknüpft. Man brauchte den Hut also nicht zum physischen, wohl aber zum gesellschaftlichen Überleben.

Die Mode ist ein Wirtschaftszweig, der Eigenschaften und Krankheitssymptome der Marktwirtschaft besonders eindrucksvoll und bunt wiedergibt. Sie ist launisch und schnelllebig, wie sonst nur Aktienkurse. Sie ist im Wesentlichen unberechenbar und nur durch den Appell an die menschlichen Impule und Affekte steuerbar. Und sie bewegt Milliarden Dollar an Vermögen.

Alleine die USA-Bürger konsumieren 20 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr, das sind umgerechnet auf den Einzelnen 68 Textilien und acht Paar Schuhe in zwölf Monaten. Das moderne Wegwerfverhalten produziert zwölf Kilo verschlissenes Gewand pro Jahr. Weltweit werden heute 50 Milliarden Tonnen Polyester fabriziert, das die gängigste Textilie darstellt. Allein die Modekette Zara stellt pro Tag eine Million Kleider her.

Die globalisierte Modeindustrie macht auch den Nordsüdkonflikt anschaulich und damit die Teilung der Menschheit in die größten vorstellbaren Gruppen: Arm und Reich.

Der Großteil unserer Kleider wird in Textilfabriken in Bangladesch, Indonesien und China produziert, kostengünstig und im Auftrag europäischer Firmen. Die Umstände der ArbeiterInnen dort sind derart harsch, dass sie an Zustände im Europa des 19. Jahrhunderts erinnern, in denen der 18-Stunden-Tag und Kinderarbeit bis zum Exitus üblich waren. Die Modeindustrie hat so gesehen eine Zeit- und Weltreise sozialer Umstände vollbracht: von 1850 nach 2013 und von Europa nach Asien.

Vom Tod durch Sättigung

Mode, so sie erfolgreich sein will, muss Masse schaffen. Sie muss Märkte erobern, sie durchdringen und expandieren und auf den Zustand größtmöglicher Verbreitung dringen. Ist dieser Punkt erreicht, tritt der Zustand der "Sättigung des Marktes“ ein, dem Schrumpfung und Tod auf den Fuß folgen. Wer es geschickt anstellt, kreiert aber selbst auf totem Terrain ein Bombengeschäft. "Wandern“ war bis vor kurzem wirtschaftliches Ödland, bis man es in ein "Outdoor“-Happening verwandelte. Seither kann "atmungsaktive“ Wäsche aus Kunststoff so teuer verkauft werden, wie weiland nur die Wandersocke aus Kamelhaar. Nicht auszudenken, was Heinrich von Kleist zur Mikrofaser-Mode gesagt hätte: Heute ein Plastiksack, den sie morgen als "Softshell“ auf die Berge tragen?

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