"Dirigenten sind die größten Bluffer"

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Rudolf Buchbinder, der internationale Starpianist und Intendant des Musik-Festivals Grafenegg, präsentiert diese Woche sein Buch "Da Capo". Mit der Furche sprach er über seine intensivsten Konzerterfahrungen, über Klassik und Pop - und natürlich über Beethoven.

Die Furche: Herr Buchbinder, mit Ihrem Namen assoziiert man fast automatisch das Klavierwerk Beethovens. Was fasziniert Sie an diesem Komponisten so besonders?

Rudolf Buchbinder: Der Mensch Beethoven hat mich immer fasziniert. Und wenn man sich mit ihm beschäftigt, kommt man drauf, dass er ein ganz falsches Image hat. Er war sicher auch ziemlich unangenehm und knausrig - er hat die Kaffeebohnen gezählt, damit die Haushälterin nicht zu viele verwendet. Aber er war auch ein unglaublich sensibler, sensitiver Mensch, der sich nach Liebe gesehnt hat und sie nie in diesem Ausmaß bekam, wie er sie verdient hätte. Er war Zeit seines Lebens kein wirklich glücklicher Mensch. Im Gegensatz zu Mozart - der war ein Hallodri. Er war auch ein Spieler, er hat alles verspielt. Er hat die Menschen richtig ausgenutzt, ein genialer Lausbub.

Die Furche: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, es gäbe in der heutigen Klassik-Szene mehr Scharlatane als in der Unterhaltungsmusik.

Buchbinder: Davon bin ich nach wie vor überzeugt - besonders bei Dirigenten.

Die Furche: Ist das ein Beruf, wo man leicht etwas kaschieren kann?

Buchbinder: Ja, sicherlich. Nathan Milstein hat behauptet, Dirigenten seien die größten Bluffer. Er hat sie "Luftmasseure" genannt - ein wunderbarer Ausdruck! Dirigenten sind die größten Bluffer und Schwindler, an zweiter Stelle kommen schon die Pianisten.

Die Furche: Wie kann man als Pianist schwindeln?

Buchbinder: Das Pedal hilft gewaltig! Da kann man bluffen, das ist fantastisch. Ein Geiger kann schon nicht mehr bluffen - wenn der fünfmal falsch spielt, rennt ihm das Publikum davon. Und wenn einer in der Pop-Branche nicht gut ist, verkauft er keine Platten und keiner kommt zu ihm. Und jedes Konzert einer Pop-Gruppe ist minutiös durchorganisiert - wenn da nicht alle spuren und perfekt mitarbeiten, funktioniert das Werk nicht. Das ist unglaublich professionell geworden.

Die Furche: Und die musikalische Substanz?

Buchbinder: Das muss man unterscheiden. Wenn ich mir zum Beispiel Frank Sinatra anhöre, der jahrzehntelang in dieser Branche Spitze war: Wenn man das Radio aufdreht und Frank Sinatra hört, erkennt man noch immer seine Stimme. Das ist ein Markenzeichen. Gibt es viele Klassiker, von denen man das sagen kann? Ich habe Sinatra mal in Los Angeles erlebt. Er kam auf die Bühne und alle sprangen auf! Es gab eine Standing Ovation, bevor er überhaupt einen Ton gesungen hatte. Der Mann strahlte eine fantastische Faszination aus. Und das ist in der Klassik auch ganz wichtig für einen Dirigenten. Ein Dirigent muss das Publikum in der Hand haben ab dem Moment, wo er auf die Bühne kommt. Das war zum Beispiel bei Karajan so. Das sind Äußerlichkeiten, die in Verbindung mit dem Beruf nicht unwichtig sind.

Die Furche: Das gilt wohl auch für einen Pianisten.

Buchbinder: Ja, natürlich. Sie spüren, wenn Sie auf die Bühne kommen, ob die Chemie zum Publikum stimmt oder nicht. Und das ist auch das Wichtigste in diesem Beruf: Dieser Kontakt, dieser "Luftkontakt", den man mit dem Publikum hat. Und den man im Studio nie hat. Dort fehlt die Nervosität, die Angst, die Spontaneität, es fehlt die emotionale Hingabe. Im Konzert gerät man doch innerhalb kürzester Zeit dermaßen ins Schwitzen vor lauter Aufregung und Hingabe. Im Studio sitzt man nur da und spielt.

Die Furche: Haben Sie eine Erinnerung an einen unvergesslichen Abend?

Buchbinder: Erstens einmal das Kompliment von Zubin Mehta, als er mir in Tel Aviv sagte, es war das schönste, beste Brahms-Konzert, das er je gemacht hat. Und das war auch das letzte Konzert des Solo-Cellisten - ein älterer Herr, der das Cello-Solo wunderschön spielte. Und mit Tränen in den Augen sagte er nach dem Konzert: Das war sein schönstes zweites Brahms-Konzert. Das rührt mich heute noch. Und auch die Atmosphäre bei diesen Konzerten - mit welcher Begeisterung und Hingabe Menschen ins Konzert gehen. Da sind Dinge passiert, wo ich auf der Bühne zu weinen begann. Bei zwei Konzerten: Einmal war da ein Golden Retriever, und dann war es ein schwarzer Blindenhund. Wenn man die Bühne betritt und man sieht einen Blinden mit seinem Hund - da kommt plötzlich so eine innere Bewegung, da spielt man ganz anders.

Die Furche: Sie schreiben, dass die Schnittstelle Künstler-Mensch, Künstler-Familienvater nicht immer ganz einfach ist. Besteht die Gefahr, dass man in der Familie nur bewundert werden will oder einen auch Freunde nur noch bewundern?

Buchbinder: Da müssen Sie meine Kinder und meine Frau fragen! Ich versuche, so normal zu leben wie nur möglich. Natürlich haben wir alle eine gewisse Eitelkeit, bei manchen ist es mehr, bei manchen weniger. Aber wer will nicht gerne bewundert werden?

Die Furche: Könnte man ohne diese Eitelkeit überhaupt auftreten?

Buchbinder: Sicher nicht! Ich will ja nicht sagen, dass es unbedingt dazugehört - aber es ist einfach vorhanden.

Die Furche: Ähneln sich die Konzertprogramme weltweit?

Buchbinder: Ein Beethoven geht immer. Aber sonst ist es von Land zu Land ein bisschen verschieden. Sie können in Italien Schubert spielen, soviel Sie wollen, aber keinen Schumann. Auch in Amerika nicht - Schubert schon. Man muss schon ein bisschen variieren, was man in manchen Ländern spielen soll und was nicht. Und welche Werke - das Klavierkonzert von Schumann geht natürlich. Aber dann wird es problematisch. Auch bei den Orchesterwerken: Schumann-Symphonien sind bei weitem nicht so populär wie eine Schubert-Symphonie. Und da sprech' ich gar nicht von der Unvollendeten, die Sie überall spielen können und wo auch alle in Gedanken mitsingen.

Die Furche: In Grafenegg hat man Sie zum ersten Mal überreden können, ein Festival zu machen. Es hat keine fixe Programmatik. Was ist das Zentrale? Ist es die Magie des Ortes?

Buchbinder: Welche zentrale Programmatik soll ich machen bei 12 Konzerten? Ein Alfred Brendel kommt mit seinem Programm, Renée Fleming bringt ihr Programm mit - ich kann doch niemanden zwingen: "Du musst das spielen!" Brendel oder Pollini würden mich auslachen! Eines ist für mich ganz entscheidend beim Grafenegg-Festival: Ich lade nicht nach Sympathie und Antipathie und nicht nach Freunden oder Nicht-Freunden ein. Es gibt viele Künstler, die nicht mein Geschmack sind, weder künstlerisch noch menschlich. Sie haben aber ihren internationalen Stellenwert, daher müssen sie in Grafenegg sein. Das ist meine Maxime - um das allerhöchste Niveau zu gewährleisten. Und vor allen Dingen: Die Arbeit mit dem Team hier ist so positiv. Dieser Enthusiasmus, diese Begeisterungsfähigkeit schwappt einfach über - und wird auch vom Publikum aufgenommen. Man ist Grafenegg gegenüber so positiv eingestellt, das ist es, was mich am meisten freut.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

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